Woher kommt die Kraftwerkskohle?

Reisebericht aus El Cerrejón, Kolumbien für Ruhrbarone.de

29.08.2014
Jürgen Klute

Seit 2007 ist das neue Dattelner E.ON-Kohleheizkraftwerk im Bau – begleitet von heftigen politischen Konflikten und Protesten, die gerade in diesen Tagen wieder aufleben anlässlich des 5. Jahrestages des OVG-Urteils zu Datteln. Mit einer Leistung von 1100 MW (brutto) und einer Fernwämeleistung von 2.600 MW wäre es das derzeit leistungsfähigste Kohlkraftwerk in Europa.

2018 wird allerdings der Steinkohlenbergbau in Deutschland (vorerst) eingestellt. Bis dahin läuft die Genehmigung der EU für die Subventionierung der Kohleförderung in der Bundesrepublik. Eine erneute Verlängerung der Genehmigung ist nicht vorgesehen.

Wie die E.ON-Pläne für Datteln zeigen, wird der Stromproduktion durch das Verbrennen von Kohle 2018 aber damit noch lange kein Ende gesetzt. Statt auf Kohle von der Ruhr (tatsächlich hat sich die Steinkohleförderung schon seit Jahrzehnten weit von der Ruhr entfernt) wird dann ausschließlich auf aus dem Ausland eingeführte Kohle zugegriffen. Damit stellt sich die Frage, woher genau diese Importkohle kommt, die ja schon heute den Großteil der zur Stromproduktion genutzten Kohle darstellt: In 2012 wurden in Deutschland noch rund 10 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert (2013: 7,6 Mio. t), die nahezu komplett als Kraftwerkskohle genutzt wurde. 43,9 Millionen Tonnen Steinkohle (davon 34,7 Mio. t SKE für Kohlekraftwerke und 9,3 Mio. t SKE Kokskohle) wurden in 2012 importiert (in 2013 waren es 50,6 Millionen Tonnen insgesamt).

Die Hauptimportländer für Deutschland sind nach Angaben des GVSt derzeit Russland (23 % der Importe in 2012), USA (20 % der Importe in 2012) und Kolumbien (19 % in 2012) (Zahlen: Steinkohlejahresbericht 2013 des GVSt).

Insbesondere die Steinkohle aus Kolumbien gilt seit langem als Blutkohle. Zum einen sind die Arbeitsbedingungen in den kolumbianischen Kohleminen schlecht. Aber auch der Druck auf die Gewerkschaften der Minenarbeiter ist enorm. Seit vielen Jahren gilt Kolumbien im internationalen Vergleich als das Land mit der höchsten Mordrate an Gewerkschaftern. Die Zahl der Morde ist in den letzten Jahren zwar rückläufig. Trotzdem gehören Morddrohungen zum Alltag für kolumbianische Gewerkschafter. Der Bergbau in Kolumbien hat aber nicht nur brutale soziale Konflikte zur Folge. In schier unvorstellbarem Ausmaß zerstört der Abbau der Kohle in Kolumbien bestehende Ökosysteme und Lebensräume der dort lebenden, meist indigenen Bevölkerung.

Der Cerrejòn Steinkohlentagebau in Kolumbien ist der weltweit größte Tagebau.

Das profitable Geschäft mit dem Kohleabbau haben im wesentlichen drei Unternehmen unter sich aufgeteilt: Drummond aus den USA, Glencore (Schweiz) und das internationale Konsortium Cerrejón.

Im Mai diesen Jahres hatte ich die Möglichkeit, den größten dieser drei kolumbianischen Kohleproduzenten zu besichtigen, Cerrejón in der an Venezuela grenzenden Küstenprovinz La Guajíra.

Cerrejón ist einer der Lieferanten für E.ON. Auch wenn die Essener Konzernzentrale nicht offenlegt, woher die Brennstroffe in ihren jeweiligen Kraftwerken stammen, ist davon auszugehen, dass auch Kohle aus Cerrejón in Datteln landen wird. Deshalb scheint es mir sinnvoll, die Probleme in den Blick zu nehmen, die die Kohleverstromung hier vor Ort im Ruhrgebiet in den Regionen verursacht, die die Kohle für die hiesigen Kraftwerke liefern. Denn die Beendigung des Bergbaus hier im Ruhrgebiet bedeutet ja eben nicht, dass die mit dem Bergbau verbunden Probleme beseitigt wären, sondern nur dass sie in andere Regionen auf dem Globus verschoben werden.

Cerrejón betreibt den größten Steinkohlentagebau weltweit. Zu dem Unternehmen gehören neben der Mine noch der Kohlehafen Puerto Bolívar und ein Eisenbahnunternehmen, das die Kohle von der Mine zum 150 Kilometer entfernten Hafen transportiert, von dem aus der Transport u.a. nach Europa erfolgt.

Eingang zum Gebiet der Wayúu Bild mitte: Vertreter der Wayúu Bild unten: Nichts geht ohne Polizeischutz

Nach eigenen Angaben beschäftigt Cerrjón ca. 10.000 Arbeitnehmer, die wie das Unternehmen anmerkte, zu 99 % kolumbianischer Herkunft sind. Die jährliche Kohleproduktion liegt derzeit bei rund 32 Millionen Tonnen. über 90 % davon gehen in den Export, überwiegend in die EU und davon ein erheblicher Teil wiederum nach Deutschland. Cerrejón erwirtschaftet ca. 60 % der Wirtschaftsleistung der Provinz La Guajíra und ist damit der mit Abstand dominanteste Wirtschaftsfaktor der Region.

Seit 2002 hat Cerrejón begonnen, seine Geschäftspolitik zu ändern, um auf Kritik von Menschenrechtlern und Umweltschützern einzugehen. Während die Konkurrenten Drummond und Glencore von NGOs nach wie vor scharf für die Verletzung von Arbeitnehmer-, Gewerkschafts- und Menschenrechten kritisiert werden (vgl. das den Artikel “Ließen sie morden? In Kolumbien stehen Kohlekonzerne am Pranger. Sie liefern auch nach Deutschland.” in DIE ZEIT vom 12. 07. 2014), hat das Management von Cerrejón seine Beziehungen zu den Arbeitnehmerorganisationen vor Ort ein Stück weit normalisiert.

Die Öffentlichkeitsarbeit des Konsortiums zeigt sich sehr bemüht, das Image eines transparenten, fairen und nachhaltigen Unternehmens zu pflegen. Regelmäßig werden Besucher eingeladen, das Abbaugebiet zu besichtigen. Die Vertreter des Cerrejón-Managements, die ich im Mai getroffen habe, zeigten sich ebenfalls relativ offen und haben Antworten auf alle Fragen und Kritikpunkte geboten, die ich und meine kolumbianischen Begleiter aufgeworfen hatte. Diese Bemühungen des Bergbauunternehmens unterstreicht auch hierzulande der Gesamtverband Steinkohle auf seiner Webseite.

Diese Geschäftspolitik bei Cerrejón ist ohne Zweifel ein Erfolg des jahrelangen politischen Drucks von Gewerkschaften und NGOs sowohl in Kolumbien wie auch in und aus Europa und den USA.

Insbesondere in dem Bereich, den man als Konflikt um den erwirtschafteten Mehrwert bezeichnen kann, zeigt sich Cerrejón kompromissbereit mit den Beschäftigten, aber auch mit den in der Region lebenden indigenen Gemeinden. Die Arbeitsbedingungen bei Cerrejón scheinen deutlich besser zu sein als bei den anderen vorgenannten Unternehmen – was noch lange nicht heißt, dass sie mit den hiesigen im Ruhrgebiet vergleichbar sind.

Auch im Blick auf ökologische Probleme zeigt sich das Unternehmen diskussions- und handlungsbereit. Im Vergleich zu Drummond und Glencore ist das ein beachtenswerter Fortschritt, denn Gewerkschaftsvertretern und NGOs zufolge reagieren die beiden Unternehmen dort auf Kritik nach wie vor mit Morddrohungen und Mordkommandos.

Die Halbinsel, auf der Cerrejón Kohle abbaut, ist von extremer Trockenheit gekennzeichnet. Der Mineralstaub, der beim Tagebau entsteht, ist eine heftige Belastung für die Umwelt der Region und die dort lebenden Menschen und Tiere. Cerrejón hat mittlerweile Messstationen zur Kontrolle von Staubbelastungen in der direkten Umgebung der Mine aufgestellt. Auf die Rückfrage, was denn bei Überschreiten der bestehenden Grenzwerte geschehe, hieß es, dass dann der Kohleabbau vorübergehend eingestellt wird. Zudem werden die Schotterwege in der Mine, auf denen die Kohletransporter fahren, mit Wasser befeuchtet, so dass weniger Staub entsteht.

Der Rio Rancheria – die Hauptwasserweulle der gesamten Region Bild Mitte: Abraumhalden des Tagebergbaus Cerrejòn nur wenige Meter vom Ufer des Rio Rancheria entfernt Bild unten: Staubmessstation von Cerrejòn

Allerdings führt diese Art der Staubverminderung zu einem anderen Konflikt. Wasser ist in der Region Mangelware. Direkt an der Mine fließt der Río Rancheria vorbei. Es ist ein kleiner Fluss und dennoch die Hauptwasserquelle der trockenen Region. Dementsprechend gibt es Konflikte um den Fluss und sein Wasser. Wie mir die Vertreter der indigenen Gemeinden darlegten, verschmutzt Cerrejón das Wasser des Río Rancheria durch giftige Bestandteile des Abraums aus dem Minenbetrieb, der teils in der Nähe des Flusses gelagert wird. Andererseits fehlt den Dörfern im Umfeld das Wasser, das Cerrejón etwa für die Staubminderung benutzt. Hier eine für alle Seiten befriedigende und allen Bedarfen entsprechende Lösung zu finden, wird kaum möglich sein. Nur ein Stopp des Kohleabbaus könnte diesen Konflikt letztendlich beenden.

Zeitweilig stand sogar im Raum, den Fluss auf einer Länge von rund 26 Kilometern umzuleiten, um mehr Kohle abbauen zu können. Nach Protesten hat Cerrejón sich von diesem Plan verabschiedet. Dies wurde mir auch von Unternehmensseite bestätigt. Die Kosten, so hieß es, seien so hoch, dass eine Flussverlegung sich auch aus wirtschaftlicher Sicht als nicht sinnvoll erwiesen habe. Allerdings fürchten die indigenen Gemeinden in der Region, dass bei steigenden Weltmarktpreisen die Flussverlegung eines Tages doch noch rentabel und das Vorhaben wieder aktuell werden könnte.

Ein weiterer Konfliktpunkt mit den indigenen Gemeinden sind Umsiedlungen, die aufgrund des Tagebaus erforderlich sind. Das Problem ist ja aus den niederrheinischen Braunkohlengebieten auch hier bekannt. Mit Altfällen, die vor der Neustrukturierung des Konzerns im Jahre 2002 liegen, tut sich das Unternehmen nach wie vor schwer: Für das, was vor 2002 gemacht wurde, sieht sich die heutige Unternehmensleitung nicht mehr verantwortlich. Die Betroffenen sind mit dieser formaljuristischen Abgrenzung allerdings nicht einverstanden und streiten mit dem Unternehmen nach wie vor über Sünden der Vergangenheit.

Vor gut zehn Jahren hat Cerrejón begonnen, mit den indigenen Wayúu-Gemeinden, Gespräche zu führen, sie frühzeitig zu informieren und Mittel für Umsiedlungen zur Verfügung zu stellen. Allerdings haben verschiedene Gemeinden sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht.

Normalerweise leben die dortigen indigenen Gemeinden in Dörfern, die viel Platz zwischen den Gebäuden lassen. Zwischen den Gebäuden findet das Dorfleben statt und auch die Tiere leben zwischen den Häusern. Es ist natürlich kostengünstiger, bei Umsiedlungen die neuen Siedlungen sehr eng zu bauen, Haus an Haus, also nach dem Muster des städtischen Häuserbaus. In vielen Fällen ist das genau so geschehen. Für die Bewohner bedeutete dies, dass ihr gewohntes Dorfleben auf den Kopf gestellt wurde und dass ihre traditionelle Art der Tierhaltung nicht mehr möglich ist.

Traditionelles Wayúu-Dorf Bild unten: Neubau eines Wayúu-Dorfes

Lediglich in einem Fall hat ein Wayúu-Dorf es erreicht, dass das neue Dorf nach ihren Vorstellungen traditioneller Dorfbauweise umgesiedelt wurde. Diesen Erfolg konnten sie durchsetzen, weil ihnen eine sehr gute juristische Unterstützung zu Gute kam. Mit anderen Worten: Cerrejón ist in diesem Punkt – im Unterschied zu den anderen beiden Unternehmen – im Prinzip offen für die Anliegen der indigenen Gemeinden. Um zu Lösungen zu kommen, die im Sinne der indigenen Gemeinden sind, brauchen diese jedoch juristische und politische Unterstützung von außen.

Auch für die Umweltfolgen des Bergbaus zeigt Cerrejón sich mittlerweile offen. Dort wo die Kohlevorräte abgebaut sind, hat Cerrejón vor ein paar Jahren ein Rekultivierungsprogramm begonnen. Allerdings ist bisher nur ein kleiner Teil des Abbaugebiets rekultiviert worden und niemand weiß derzeit, ob nach dem Ende des Kohleabbaus wirklich das riesige Abbaugebiet vollständig rekultiviert werden kann.

Die Rekultivierung ist nach meinem Eindruck durchaus vergleichbar mit der in den deutschen Braunkohlentagebaugebieten. Die entstandenen Abaulöcher werden systematisch wieder mit dem zuvor die Kohleschichten bedeckenden Boden aufgefüllt. Die oberste Schicht bildet aus eine Bodenmix, auf dem wieder Pflanzen und Bäume wachsen können. Hier allerdings besteht ein weiterer Konflikt mit den indigenen Gemeinden.

Die für die Rekultivierung zuständigen Fachleute von Cerrejón haben nämlich einen völlig neuen Boden angelegt. Der Boden ist nun so zusammengesetzt, dass dort aus Afrika importiertes Büffelgras wachsen kann. Aus Sicht der Cerrejón-Wissenschaftler hat dieses Gras den Vorteil, dass es Hitze aushält, aber auch den Regen zur Regenzeit. Außerdem wird der neue Boden in der Mittagshitze nur noch rund 30 Grad C warm, der alte wurde bis zu 60 Grad C heiß. Die Cerrejón-Wissenschaftler sehen darin einen Vorteil. Meine Frage, welche Auswirkungen solche Veränderungen auf das Mikroklima hätten, haben die Cerrejón-Wissenschaftler zunächst gar nicht verstanden. Nach einiger Diskussion gestanden sie zu, dass sie sich mit dieser Frage bisher nicht befasst hätten.

Riesige Bagger transportieren die Kohle über das Gelände des Tagebaus.

Äußerlich sind die rekultivierten Flächen sehr grün und ansprechend. Und die Cerrejón-Wissenschaftler sind sehr stolz auf ihr Werk.

Die indigenen Gemeinden reagieren auf diese Art der Kultivierung ungehalten. Mit diesem Boden können wir nichts anfangen, ist ihr Einwand. Unsere Tiere fressen das neue Gras nicht und es soll ja auch nicht abgegrast werden. Denn dann würde der Boden ja nicht mehr geschützt. Außerdem sind in den rekultivierten Gebieten nur noch zwei Baumarten zu finden. Auf dem alten Boden, der recht steinig und karg war, wuchsen hingegen unterschiedlichste Bäume und Gräser, von denen Mensch und Tier gelebt haben, und vor allem auch Kräuter, die für medizinische Zwecke benutzt wurden. Auf dem neuen Boden ist davon nichts mehr zu finden, so die Klagen der indigenen Gemeinden.

Offensichtlich stoßen hier zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen von Natur aufeinander. Im Verständnis der indigenen Gemeinden sind Menschen Teil der Natur, die Erde ist ihnen wie eine Mutter, die sie mit dem Lebensnotwendigen versorgt. Dementsprechend behutsam gehen sie mit der Erde, auf der und von der sie leben, um. (Wer etwas mehr dazu lesen möchte, dem sei das ZEIT-Interview mit dem Kulturforscher Constantin von Barloewen vom 6. Juli 2014 empfohlen) (http://www.zeit.de/2014/26/nachhaltigkeit-wirtschaft-lateinamerika-forschung-barloewen) Dem steht ein rational-wissenschaftliches Naturverständnis gegenüber, das in der Natur einen Werkstoff sieht, den man nach menschlichem Bedarf formen kann.

Ursprüngliche Landschaft Bild mitte: Neuer Bodenaufbau Bild unten: Rekultivierte Landschaft

Dieser Konflikt ist ein sehr prinzipieller. Während ein Konflikt um Löhne und Arbeitsbedingungen – dabei geht es ja um die Verteilung des erwirtschafteten Mehrwerts – durchaus rational lösbar ist, ist es nur sehr schwer vorstellbar, wie der Widerspruch zwischen diesen beiden Verständnisweisen der Natur aufgelöst werden kann. Dieser Konflikt wird daher wohl auf Dauer bestehen bleiben und nur durch eine tiefgreifende und konsequente Energiewende lösbar sein, die solche Eingriffe in die Natur verzichtbar macht.

Die große Furcht der indigenen Gemeinden ist, dass diese Konflikte sich verschärfen werden, wenn der Ausstieg aus der subventionierten Kohleproduktion 2018 in den westeuropäischen Steinkohlerevieren endgültig vollzogen wird. Die Stilllegung der nicht konkurrenzfähigen europäischen Kohlereviere wird dann durch Importkohle kompensiert – eben auch mit Importen aus Kolumbien. Es gibt offenbar Pläne, die Kohleförderung von Cerrejón bis 2020 auf 60 Millionen Tonnen pro Jahr zu steigern (http://de.wikipedia.org/wiki/El_Cerrejón). Auch die derzeit auf Eis gelegten Pläne zur Umleitung des Río Rancheria könnten dann wieder ausgegraben werden und zu einer Verschärfung der sozialen Konflikte rund um Cerrejón führen.

Dies ist nur ein Aspekt von vielen, die in der Diskussion um das Kohlekraftwerk Datteln eine Rolle spielen: Die Externalisierung der Umweltfolgen der Kohleförderung und -nutzung weg aus Deutschland in andere Regionen der Welt. Dieser Aspekt sollte in der aktuellen Debatte nicht ausgeklammert werden. Denn die Fortsetzung der Kohleverstromung in NRW betrifft nicht alleine die Bürger in Datteln, sondern mindestens ebenso stark jene in den Kohleabbauregionen.