Bankenaufsicht: Machtpoker gegen die Uhr

25.10.2012
Jürgen Klute, Hanna Penzer (nd)

Noch 2010, als die Finanzkrise Europa längst erfasst hatte, wurde eine schlagkräftige europäische Bankenaufsicht von den Regierungschefs verhindert. Nun soll sie in wenigen Monaten aus dem Boden gestampft werden und im Idealfall 6000 Banken überwachen. Ihre Einrichtung gehört derzeit zu den Aufregerthemen in Brüssel. EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und zumindest einigen Regierungen der Euroländer kann es plötzlich gar nicht schnell genug gehen.


Dabei ist es nicht allzu schwer, sich die Komplexität des neuesten »Gipfel-Babys« auszumalen. Eine funktionierende Aufsicht braucht hoch qualifizierte, erfahrene und gut bezahlte Fachleute: Bis zu 5000 (!) Mitarbeiter müssen rekrutiert und zu funktionierenden Teams zusammengeführt werden. Doch auch politisch birgt das Projekt Sprengstoff!


Nach dem von Kommissionspräsident José Manuel Barroso vorgelegten Legislativvorschlag soll die Aufgabe der Bankenaufsicht der EZB übertragen werden. Dies würde aber eine weitere Zerstückelung der EU in einen Eurozonen-Kern und eine Nicht-Eurozonen-Peripherie bedeuten. Denn: Die sechs Stühle im Direktorium der EZB werden bislang allein unter den Schwergewichten der Währungsunion ausgemacht. Ohne echte Mitentscheidungsbefugnis werden sich Polen oder Großbritannien aber schwerlich der neuen Aufsicht unterstellen.


Eine reine Eurozonen-Aufsicht würde ihre Grenzen allzu schnell spüren. Denn der mit Abstand größte Finanzplatz der EU ist London. Und die wichtigsten Banken, die sich in Osteuropa tummeln, haben ihren Sitz eben nicht in Warschau oder Budapest, sondern in Wien, Frankfurt, Rom und Athen.


Eine Alternative zu den Plänen von Rat und Kommission wäre die Stärkung der 2010 geschaffenen Europäischen Bankenaufsicht (EBA) mit Sitz in London. Der große Unterschied: Die EBA wird aus dem Haushalt der EU finanziert, der der demokratischen Kontrolle des EU-Parlaments unterliegt. Doch das Renommee der EBA ist beschränkt und neue Posten im Haushalt sind dem Club der »Nettozahler« derzeit kaum abzuringen.

Wieso also diese plötzliche Eile für ein mit Tretminen gespicktes Dossier? Die Diskussion um die Bankenunion führt uns vor Augen, dass die Eurokrise keine Staatsschuldenkrise ist. Der kranke Mann Europas war und ist sein Finanzsektor. Immobilienblasen haben insbesondere irische und spanische Institute hart getroffen. Das hat Irland bereits 2010 in die Arme der Troika getrieben. Nun weigert sich die spanische Regierung hartnäckig, unter den europäischen Rettungsschirm zu schlüpfen und fordert stattdessen den direkten Zugriff notleidender spanischer Institute auf EFSF-Kredite. Unterstützung erhält Madrid von Frankreichs Präsident François Hollande, dessen Wahlsieg im Mai die Kräfteverhältnisse unter Europas Mächtigen in Frage gestellt hat. Und dazu führte, dass Merkel die spanischen Forderungen nicht einfach abblocken konnte, sondern an die Bedingung einer gemeinsamen Bankenaufsicht knüpfte.

Im September hat Barroso seine Pläne zur Bankenunion präsentiert. Keine zwei Monate später ist zu befürchten, dass wieder einmal kurzfristig notwendige Maßnahmen zur Eindämmung der Eurokrise im Machtpoker der europäischen Regierungen verschleppt werden. Der Aufbau einer durchgriffsfähigen, demokratisch kontrollierten und möglichst EU-weiten Bankenaufsicht ist notwendig, aber dieser ist nicht von heute auf morgen zu leisten.

Wichtiger aber noch: Der Bundesregierung darf dieser Umstand nicht als Vorwand gelassen werden, durch neuerliche Verzögerungstaktiken die Zuspitzung der Eurokrise in Kauf zu nehmen. Die Regierungen müssen endlich einsehen, dass die Union die Krise nur gemeinsam meistert. Oder gegeneinander scheitert.

--

Der Beitrag ist als Kolumne in der Reihe 'Brüsseler Spitzen' im NEUEN DEUTSCHLAND erschienen - HIER!