EU deckt zunehmende Straffreiheit in Kolumbien - Anfrage an die EU-Kommission

Zusammenarbeit der EU bei der Reform des kolumbianischen Militärstrafrecht

28.06.2013
Jürgen Klute

Am 17. Juni 2013 nahm der kolumbianische Kongress ein Gesetz an, das die militärische Strafgerichtsbarkeit regelt. Das Gesetz wurde trotz zahlreicher gegenteiliger Empfehlungen von VN-Gremien angenommen, einschließlich einer bisher noch nie da gewesenen Erklärung von 11 Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen, die eine Rücknahme der Reform forderten und erklärten: „Sollte diese Reform verabschiedet werden, könnte sie die Rechtspflege bei mutmaßlichen Verstößen gegen die Menschenrechte und das internationale humanitäre Recht, auch bei schweren Straftaten, durch das Militär oder die Polizei (Fuerza Pública) ernsthaft untergraben“.

Zahlreiche nichtstaatliche Organisationen, darunter Amnesty International, Human Rights Watch, das internationale Büro für Maßnahmen im Bereich Menschenrechte in Kolumbien (OIDHACO) und der Internationale Bund der Ligen für die Menschenrechte (FIDH), haben sich besorgt gezeigt über diese kontroverse Reform der Militärgerichtsbarkeit, und einige von ihnen haben insbesondere die Ablehnung eines vorgeschlagenen Gesetzes gefordert, mit dem der Militärjustiz größere Befugnisse verliehen werden sollen, und das die Mitglieder der Streitkräfte und der Polizei bei Straftaten nach internationalem Recht vor der Justiz schützen wird.

Es sei mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs in ihrem Bericht vom November 2012(1) festgestellt hat, dass die Organe des kolumbianischen Staates Handlungen begangen haben, welche als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gelten.

Anstatt jedoch ihre Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, bot die EU anlässlich des jüngsten Besuchs des kolumbianischen Verteidigungsministers ihre Zusammenarbeit bei der Umsetzung dieser Reform an(2).

1. Ist die Vizepräsidentin/Hohe Vertreterin sich der Tatsache bewusst, dass von den 1 579 Verfahren, die in den letzten 13 Jahren in Kolumbien betreffend außergerichtliche Hinrichtungen stattgefunden haben, nur 1 % zu einem Urteil geführt hat(3)?

2. Wie will die Vizepräsidentin/Hohe Vertreterin „Unterstützung im Bereich der Militärgerichtsbarkeit prüfen“, wie von kolumbianischer Seite gefordert?

3. Ist die Vizepräsidentin/Hohe Vertreterin sich der Tatsache bewusst, dass eine Unterstützung Kolumbiens oder eine Hilfe für dieses Land bei dieser Reform der Militärgerichtsbarkeit einer Legitimierung eines Gesetzes gleichkommt, das von internationalen Organisationen, auch den Vereinten Nationen, scharf kritisiert wird? Ist die Vizepräsidentin/Hohe Vertreterin sich der Tatsache bewusst, dass die EU, wenn sie dieses kolumbianische Gesetz unterstützt, ohne Achtung der Menschenrechtsstandards der Vereinten Nationen handelt?

(1) Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs, Zwischenbericht über ihre „erste Untersuchung“ der Lage in Kolumbien, November 2012.
(2) http://www.fidh.org/IMG/pdf/colombie589e.pdf
(3) http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/pressdata/EN/foraff/137600.pdf

Antwort von Frau Ashton — Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin im Namen der Kommission - 14.8.2013

Die Zahlen, die in der kürzlich vorgelegten FIDH-Veröffentlichung im Zusammenhang mit der Untersuchung der außergerichtlichen Hinrichtungen genannt wurden, sind der Hohen Vertreterin/Vizepräsidentin bekannt.

Auch die Kritik, die von UN-Einrichtungen sowie von der Zivilgesellschaft an dem Gesetz zur Reform der militärischen Strafgerichtsbarkeit in Kolumbien vorgebracht wird, ist der Hohen Vertreterin/Vizepräsidentin bekannt. Die EU hat zu diesem Thema keineswegs geschwiegen, sondern bei verschiedenen Gelegenheiten und auf allen Ebenen ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht, so u. a. Präsident Barroso bei einem Treffen mit dem kolumbianischen Präsidenten Santos Ende des Jahres 2012. Die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin hat ihrerseits zu diesem Thema am 29. Dezember 2012 eine Erklärung abgegeben(1).

In Reaktion auf diese Bedenken hat der kolumbianische Verteidigungsminister die EU während seines Besuchs in Brüssel um Unterstützung in diesem Bereich ersucht. Dieses Ersuchen wird derzeit geprüft.

Eine solche Unterstützung würde darin bestehen, dass europäische Sachverständige Informationen über die Militärgerichtsbarkeit in der EU und diesbezügliche bewährte Praktiken bereitstellen, unter besonderer Berücksichtigung der Menschenrechtsstandards, die in diesem Bereich u. a. durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgelegt wurden. Somit kann dieses Unterstützungsangebot nicht als Legitimierung der Gesetzgebung ausgelegt werden. Im Rahmen der Unterstützung sollen Informationen über diesbezügliche bewährte Praktiken in der EU bereitgestellt und die Möglichkeit geboten werden, den Dialog über dieses kritische Thema auszuweiten. In diesem Sinne hat die EU das Thema auch mit Kolumbien bei dem jüngsten Treffen im Rahmen des Menschenrechtsdialogs am 17. Juni in Brüssel erörtert.

(1) http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_Data/docs/pressdata/EN/foraff/134562.pdf

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