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Economic Governance steht zur Abstimmung

22.06.2011
Jürgen Klute

Das Europäische Parlament soll morgen in erster Lesung über die Erweiterung des Stabilitäts- und Wachstumspakts abstimmen. Die Verhandlungen über die sogenannte europäische Wirtschaftsregierung wurden unter massivem politischem Druck innerhalb von zwei Monaten nach Abstimmung im federführenden Wirtschaftsausschuss zu Ende geführt. Nachdem auch in der letzten Verhandlungsrunde nicht alle Differenzen aufgelöst werden konnten, liegen noch einen Tag vor der angesetzten Abstimmung keine konsolidierten Übersetzungen vor.

Jürgen Klute, Koordinator der Linksfraktion GUE/NGL im Wirtschafts- und Währungsausschuss wird heute zu Beginn der Plenartagung, deshalb für Verschiebung der Abstimmung plädieren:

"Die Reform des Stabilitätspaktes ist eine zentrale Entscheidung, die die Europäische Union prägen wird. Während die Zeitungen seit Monaten Rettungspakete für Griechenland und den weitgehend unverbindlichen "Euro Plus Pakt" diskutieren, läuft die Einführung der wirtschaftspolitischen Steuerung bislang völlig an der Öffentlichkeit vorbei. Dies ist unter demokratischen Gesichtspunkten extrem bedenklich. Doch schlimmer noch: Aufgrund der Vielzahl der strittigen Punkte und Nachverhandlungen bis zur letzten Minute liegen den Abgeordneten noch einen Tag vor der Abstimmung keine offiziellen Übersetzungen des 500 Seiten starken Gesetzespakets vor. Eine informierte Abstimmung ist so nicht möglich."

"Neben der Linken haben auch Sozialdemokraten, Grüne, Gewerkschaften und NGOs starke Bedenken gegenüber den vorliegenden Kompromissen. An einer Protestaktion etwa des globalisierungskritischen Netzwerks attac haben sich bislang 12.000 Bürger beteiligt. Einem Verhandlungsteam von weniger als zehn Abgeordneten kann bei solch politischen Fragen kein Monopol über die Position des Parlaments eingeräumt werden. In diesem Sinn war bereits die Entscheidung, ohne erste Lesung in die Verhandlungen zu gehen, ein Fehler, der sich nun rächt", gibt Klute zu bedenken.

"Die EU braucht ohne Zweifel eine Wirtschaftsregierung, die die klaffenden wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte bekämpft. Die nun vorgelegte Reform wird diesen Zielen leider in keiner Weise gerecht, und setzt stattdessen auf Überwachen und Strafen. Der europäische Wettlauf um niedrige Löhne und niedrige Steuern wird so verschärft, nicht aufgehoben. Aus Sicht des Europäischen Parlaments ist zudem nicht akzeptabel, dass die Europäische Kommission alleine - ohne Kontrolle durch delegierte Rechtsakte - über die konkrete Definition von wirtschaftlichen Ungleichgewichten entscheidet, und etwa im Alleingang Schwellenwerte für ein zu hohes Lohnniveau festlegen kann", so der Finanzpolitiker der Linken.