"Sie war die Lebensfreude selbst. Ihr Lächeln werde ich nie vergessen."

17.01.2013

Wir trauern um die in Frankreich arbeitende Kurdin ‚Rojbin' Fidan Dogan, die im Alter von 30 Jahren gemeinsam mit Sakine Cansiz und Leyla Söylemez am 9. Januar 2013 in Paris ermordet wurde. ‚Rojbin' hatte ihren Anteil daran, dass zwei große Hungerstreiks im letzten Jahr kein tragisches Ende genommen haben, sondern eine Tür zu Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen PKK geöffnet haben.

Fidan ‚Rojbin' Dogan, geboren am 17. Januar 1982 und aufgewachsen in Elbistan kam als Flüchtlingskind nach Frankreich. Dort war sie seit 2001 in der Öffentlichkeitsarbeit für die friedliche Lösung der Kurdenfrage aktiv. Seit einigen Jahren arbeitete Rojbin ebenfalls als Vertreterin des Kurdistan Nationalkongress (KNK) in Frankreich. In dieser Funktion führte sie Gespräche mit französischen und europäischen Politikern, auch mit dem heutigen Präsidenten Francois Hollande, wie dieser nach der Tat erläuterte. Aus einem Interview im Sommer 2012: „Die Staaten Europas müssen zuallererst ihre wirtschaftlichen Interessen beiseite legen. Wir reden schließlich von 40 Millionen Menschen, von einem Volk, das eine Geschichte hat, von einer der ersten Zivilisationen Mesopotaniens. Die europäische Rückendeckung für Ankara muss aufhören, denn sie schadet der Lösung der kurdischen Frage. Die Kurden sind Opfer dieser Allianz mit der türkischen Regierung. Das Kurdenproblem ist ein Problem, das alle Mitglieder des Europarates angeht. Die Türkei gehört neben 47 weiteren Ländern dem Europarat an. Man kann uns deshalb nicht einfach erzählen, dass es hier um ein Problem der Türkei geht, und dass alleine die Türkei dieses Problem lösen muss. Das Kurdenproblem hört nicht an der Grenzen der Türkei auf."

Die 1958 in Tunceli (Dersim) geborene Sakine Cansiz gehört zu den Gründungsmitgliedern der 1978 gegründeten PKK . Sakine Cansiz war die einzige noch lebende Frau unter den Mitgründern der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Sakine Cansiz wurde 1979, noch ein Jahr vor dem Militärputsch, inhaftiert. In ihrer 12-jährigen Haftzeit wurde sie zum Opfer schwerer Folter. 1998 erhielt Cansiz politisches Asyl in Frankreich. Sakine Cansiz gilt vielen Kurden als Symbolfigur für den unbedingten Willen zum Widerstand und für den Befreiungskampf der Frauen.

Leyla Söylemez ist Tochter einer yezidischen Einwandererfamilie. Die aus Diyarbakir (Amed) stammende Söylemez verbrachte ihre Kindheit in der türkischen Küstenstadt Mersin, wohin ihre Familie aufgrund von religiöser Verfolgung fliehen musste. In den 90ern ist ihre Familie nach Deutschland ausgewandert und lebte die meiste Zeit über in Halle. Leyla Söylemez war bereits viele Jahre als Jugendaktivistin aktiv.

Fidan Dogan spricht auf einer Solidaritätsveranstaltung für die kurdischen Hungerstreikenden in Strasbourg im Frühjahr 2012

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Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments - Erklärung anlässlich der Eröffnung der Plenarsitzung des Parlaments

"Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Der heimtückische Mord an den drei kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Söylemez vergangene Woche in Paris hat uns alle tief erschüttert. Im Namen des Europäischen Parlaments habe ich den Eltern der Opfer in einem Brief unser tief empfundenes Beileid ausgesprochen. Die Eltern von Fidan Dogan, ihre Schwester und ihre Brüder leben in Straßburg und sind heute hier bei uns. Ich begrüße Sie in unserem Haus und drücke Ihnen im Namen des Hauses unser tief empfundenes Mitgefühl aus. Der Tod von Frau Dogan, Frau Cansiz und Frau Söylemez darf nicht ungesühnt bleiben. Wir unterstützen die französischen Behörden in ihrer Entschlossenheit, alles zu tun, um diese Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Meine Damen und Herren Mitglieder der Familie Dogan: Ich weiß, wie schwer das für Sie ist. Sie sind hier in Straßburg unsere Nachbarn, und wir möchten Ihnen sagen, dass wir Ihren Schmerz teilen."

Hélène Flautre, Vorsitzende der EU-Türkei-Delegation im Europäischen Parlament:

„Ich bin zutiefst entsetzt über das abscheuliche Verbrechen und nehme Anteil an dem schmerzhaften Leid der Familien und Nahestehenden der drei Opfer, Sakine Cansiz, Fidan Dogan, Leyla Sönmez sowie an der Trauer der kurdischen Gemeinde. Ich gehe davon aus, dass die französischen Behörden alles tun werden, um diesen dreifachen Mord vollständig aufzuklären und um die Verantwortlichen so schnell wie möglich vor Gericht zu bringen. Diese neuerliche Missachtung menschlichen Lebens zeigt uns wie dringend es ist, gemeinsam nach Wegen zum Frieden zu suchen."

Marie-Christine Vergiat, französische Europaabgeordnete, Linksfraktion GUE/NGL:

„Rojbin Fidan Dogan hat mir als erste die Kurdenfrage erklärt. Sie war die Lebensfreude selbst. Ihr Lächeln werde ich nie vergessen. Die Kurden zahlen einen teuren Preis für ihren Einsatz für den Frieden. Keine Provokation, kein Gewaltakt, wie schwer auch immer, darf jedoch den neuen Anlauf der Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und Kurdenführer Abdullah Öcalan in Frage stellen."

Jürgen Klute:
"Das Mindeste was die Opfer des schrecklichen Dreifachmords von Paris verdient haben, ist Aufklärung - über das Leben, die Leistungen und die Überzeugungen der drei Frauen und über die Verantwortung für das beispiellose Verbrechen vom 9. Januar 2013."

John Dalhuisen, amnesty international, Programmleiter für Europa und Zentralasien:

„Wir brauchen Gerichtigkeit für diese offensichtlich politisch motivierten Morde – die französischen Behörden müssen in ihren Ermittlungen jeden Stein umdrehen. Die türkischen Behörden müssen volle Kooperationsbereitschaft zeigen, um die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen."

Axelle Lemaire, Menschenrechtsbeauftragte der französischen Sozialistischen Partei (PS):

„Ein derart brutaler Gewaltakt kann in keinster Weise auf dem Boden der französischen Republik hingenommen werden. Ohne den Ergebnissen der polizeilichen Ermittlungen etwas vorweg zu nehmen, erinnert uns die Ermordung dieser politischen Aktivistinnen an unsere tiefe Verbundenheit mit der politischen Gewissensfreiheit und an ihren Schutz auf französischem Boden."

Selahattin Demirtas, Co-Vorsitzender Partei Frieden und Gerechtigkeit (BDP):

„In Anbetracht der sensiblen Phase des möglichen Dialogs in der Türkei, sollte die AKP die Verantwortlichen in Frankreich eigentlich dazu auffordern, die Hinrichtungen in Paris aufzuklären. Stattdessen versucht sie das Geschehene zu verschleiern, indem sie ohne Grundlage von einem ‚parteiinternem Mord' spricht. Aufgrund dieser Haltung stellt sich mir folgende Frage: Woher wissen wir, dass Diejenigen, von Denen diese Äußerungen stammen, nicht selbst den Mord geplant haben? Sind Eure Äußerungen in panikartiger Eile etwa darauf zurückzuführen?"

Leyla Zana in Paris

Auf den Türkeibeitritt spezialisierte Nichtregierungsorganisation ‚EU Turkey Civic Commission' (EUTCC):

„Die französischen Behörden sollten unverzüglich aufhören, kurdische Bürger zu kriminalisieren, die an einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage arbeiten. Die in Frankreich und im übrigen Europa lebenden Kurden stellen keinerlei Bedrohung dar für die Obrigkeit der Länder, in denen sie leben. Ganz im Gegenteil, angesichts ihres unermüdlichen Einsatz für die Lösung der Probleme in der Türkei sollten sie belohnt werden – und nicht kriminalisiert, verfolgt, ins Gefängnis gesteckt werden, wie zuletzt der kurdische Diplomat Adem Uzun, oder gar ermordet."

YEK-KOM – Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V., CENÎ – Kurdisches Frauenbüro für Frieden e. V., ISKU – Informationsstelle Kurdistan e. V., KURD-AKAD – Netzwerk kurdischer AkademikerInnen e. V., YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan e. V., CIVAKA AZAD – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V.:
„(...) So äußerte vor einigen Monaten der für Antiterrorangelegenheiten zuständige französische Richter Thierry Fragnoli, dass insgesamt 4 Richter, 8 Staatsanwälte und 28 Kommissare ausschließlich im Hinblick auf die KurdInnen in Frankreich arbeiten würden. Wie unter solch strenger Beobachtung ein derartiger Mord geschehen konnte, bleibt fragwürdig. Wie kann es sein, dass der oder die Täter tagsüber in einer solch belebten Gegend unbeobachtet diesen kaltblütigen Mord begehen können, während in Frankreich doch kurdische Aktivistinnen und Aktivisten, dementsprechend sicherlich auch die Opfer des Mordes, unter permanenter Beobachtung des Staatsschutzes und der Polizei stehen?"