Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaats

REZENSION von Jürgen KLUTE, erschienen in TRANSPARENT Nr. 78

01.07.2008

Der veröffentlichte Diskurs stellt den nach dem Ende der Nazidiktatur und des zweiten Weltkrieges konzipierten und in den Folgejahren etablierten bundesrepublikanischen Sozialstaat vorzugsweise als überholt, ineffizient, kostenträchtig, unbezahlbar und falsche Anreize gebend dar. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich in ihrer zweiten Amtsperiode in der Form auf diesen Diskurs eingelassen, dass sie mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen einen in die Tiefe gehenden Umbau des Sozialstaats begonnen hat. Vor allem diesem Projekt verdankt die rot-grüne Bundesregierung ihr vorzeitiges Ende und die Republik das Entstehen einer neuen Linken, die am 18. September mit einem erstaunlichen Ergebnis (8,7 %) die politische Bühne für eine linke politische Stimme zurückerobert hat.

Christoph Butterwegge, Leiter der Abteilung für Politikwissenschaft an der Universität Köln, hat sich als engagierter Wissenschaftler mit dem im Juli diese Jahres erschienen Band „Krise und Zukunft des Sozialstaates“ in die Diskussion eingebracht.
Butterwegges zentrale These lautet, „dass der Sozialstaat seit Mitte der 1970er-Jahre restruktuiert und demontiert wird, obwohl er weder Verursacher der damaligen Weltwirtschafts- und der im Grunde bis heute anhaltenden Beschäftigungskrise war, noch aus seinem Um- bzw. Abbau irgendein Nutzen für die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Entwicklung des Landes erwächst“.

Zur Untermauerung dieser These erörtert der Autor zunächst die Grundlagen und Organisationsstrukturen des Sozialstaates und vergleicht die unterschiedlichen Typen von Wohlfahrts- und Sozialstaaten. Ergänzt wir diese systematische Einführung durch einen historischen Abriss, der die Entwicklung des Sozialstaates von 1870 bis 1975 in seinen alternierenden Schritten nachzeichnet.

Auf dieser Grundlage aufbauend analysiert Butterwegge so dann die sozialstaatskritischen Diskursen der letzten drei Jahrzehnte. In der neoliberalen Hegemonie, die sich in diesem Zeitraum von der wissenschaftlichen Diskussion mehr und mehr auf die Massenmedien ausgedehnt hat, sieht der Autor eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Schröder die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen durchsetzen konnte.

Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Analyse der Sozialpolitik und der Entwicklung bzw. schrittweisen Demontage des Sozialstaats in den beiden Phasen von 1975 bis 1998 und von 1998 bis 2005. Abgerundet wir der Band mit einer Analyse der gegenwärtigen Diskussion über die Zukunft des Sozialstaates und der gegenwärtig diskutierten Alternativen zur neoliberalen Destruktion des Sozialstaates. Butterwegge reflektiert den Sozialstaat sowohl auf historischer als auch auf systematischer und auf einer diskursthroretischen Ebene, die er in spannender und erhellender Weise miteinander verknüpft.

Dem entsprechend bezieht er in seine Analysen sowohl den wissenschaftlichen Diskurs als auch den in den Medien veröffentlichten politischen Diskurs über den Sozialstaat ein. Folglich enthält der Band eine Vielzahl von Zitaten und Verweisen auf Fachliteratur, Zeitschriften und Zeitungen, die ihn nebenbei zu einer Fundgrube machen. Eine sehr umfangreiche und gut systematisierte Literaturauswahl schließen den Band ab.

Dem Autor ist mit dem Band ein grundlegender Beitrag zum Sozialstaatsdiskurs gelungen, der einerseits ein fundiertes, am aktuellen politischen Diskurs entlang gehendes Kompendium über den Sozialstaat darstellt, und andererseits eine engagierte Verteidigung des Sozialstaates, die sich dem Mainstream der neoliberalen Diskreditierung des Sozialstaats mit fundierten Argumentationen entgegenstellt. Dem Band ist daher eine große Leserschaft zu wünschen!