Die Krise der EU und das Elend mit der Rechtsgrundlage: ein Lehrstück

08.01.2013
Helmut Scholz, Norbert Hagemann (europarot 10)

Demokratieabbau auf dem Wege der Umgehung bestehenden Rechts und per Austeritätspolitik betriebene soziale Demontage sind zwei Seiten derselben Medaille. Diesen Zusammenhang kennen wir aus den nationalen Debatten um linke Alternativen in und für Europa. Dass nationale Regierungen von Deutschland bis Zypern analoge Prozesse auch auf europäischer Ebene vorantreiben, ist bisher weitgehend unbeachtet und undiskutiert geblieben. Sich bei der Lösung der Krisen ihrer eigenen Politik des Rechts wie in einem Steinbruch zu bedienen, und das frei nach dem Motto: „Ich nehme mir das, was mir gerade nutzt, es wird schon keiner merken!", ist heute fast schon Standard aufseiten der nationalen Regierungen.

Ein Beispiel hierfür ist auch der Fiskalvertrag, mit dem sich 25 Mitgliedstaaten der EU auf eine möglichst unwiderrufliche Einführung einer Schuldenbremse und auf sich fast automatisch auslösende Korrektur- und Sanktionsmechanismen bei Vorgabenverletzungen geeinigt haben. Diese vor allem aus der Feder der deutschen Bundesregierung stammenden Regelungen haben vom Bundesverfassungsgericht aus nationaler Sicht zwar ihr Plazet bekommen, damit sind sie aus Sicht des europäischen Rechts aber noch lange nicht rechtens. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten, welches Professor Fischer-Lescano im Auftrag der LINKEN im Europäischen Parlament angefertigt hat.

Worin besteht dieser Rechtsbruch? Vor dem Hintergrund der Verweigerung aus London und Prag haben die Bundesregierung und der Europäische Rat mit dem zwischenstaatlichen Fiskalvertrag einen Weg beschritten, der die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments in der Sache aushebelt. So bedient er sich für die Exekution der Vertragsgegenstände der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs und erweitert hierfür deren im Lissabon-Vertrag fixierte Kompetenzen. Dieses ist aber nur auf dem Wege eines ordentlichen Vertragsänderungsverfahrens unter Beteiligung des Europäischen Parlaments möglich. Auch andere Wege, dieses Problem aus Sicht der Regierenden zu lösen, enden juristisch an dem Erfordernis einer Beteiligung des Europäischen Parlaments. Damit dürfen in der Konsequenz die über den Fiskalvertrag eingebundenen europäischen Institutionen solange in seinem Kontext nicht agieren, wie die ordentlichen Verfahren nicht absolviert sind.

Daneben verletzt der Fiskalvertrag bestehendes europäisches Recht dahingehend, dass er die per Lissabon-Vertrag geschützten und jenseits von fiskalpolitischen Zielen liegenden sozial- und wirtschaftspolitischen Ziele und Interessen in der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten strukturell dem absoluten Primat der Austeritätspolitik unterordnet.

Das politische Fazit dieses Lehrstücks lautet: Die Verhinderung der Politik des Fiskalvertrags erfordert auch das Ausloten konkreter Wege zur ihrer rechtlichen Verhinderung auf europäischer Ebene.

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