Economic Governance: Unkluges Zwangskorsett statt echte Wirtschaftsregierung

28.09.2011
Jürgen Klute

Eine Mehrheit von Konservativen, Rechten und Liberalen im Europäischen Parlament hat heute eine drastische Verschärfung des Wachstums- und Stabilitätspakts durchgesetzt. Das Paket zur wirtschaftspolitischen Steuerung ("Economic Governance") verleiht der EU-Kommission neue, weitreichende Durchgriffsrechte auf finanz- und wirtschaftspolitische Entscheidungen der Mitgliedsstaaten.

Jürgen Klute, Koordinator der Linksfraktion im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments erklärt die Haltung der Fraktion:

"Die Eurokrise zeigt, dass die EU eine Wirtschaftsregierung braucht. Es ist klar: Die Mitgliedsstaaten müssen sich koordinieren, um Lohn- und Steuerdumping zu verhindern. Die Economic Governance-Reform zielt jedoch viel zu einseitig auf die Bestrafung und Drangsalierung von Mitgliedsländern mit Exportdefiziten. Im gemeinsamen Interesse müssten stattdessen übermäßige Überschüsse, wie sie die Bundesrepublik seit Jahren auf Kosten der südlichen Nachbarn erzielt, in gleichem Maße sanktioniert werden."

Folgende Neuerungen wurden durch die Annahme des Reformpakets heute beschlossen:

1.) Neben der bisherigen Begrenzung der jährlichen Haushaltsdefizite auf 3 % werden die Mitgliedsländer von nun an auf den Ausgleich ihrer Haushalte hin orientiert. Ziel ist die Rückführung der Gesamtverschuldung der Mitgliedsländer auf unter 60 %.

2.) EU-Staaten, die die haushaltspolitischen Ziele des Stabilitätspakts nicht erreichen, werden durch die EU-Kommission auf einen raschen, präzise festgelegten Abbau ihrer Verschuldungsraten verpflichtet. Verfehlen sie die sparpolitischen Vorgaben, verhängt die Kommission unmittelbar Sanktionen: In einer ersten Stufe müssen die Mitgliedsländer verzinsliche Einlagen hinterlegen. In einem späteren Schritt werden Geldbußen über 0,2 % der Wirtschaftsleistung fällig.

3.) Schließlich wird der Stabilitätspakt um einen neuen Mechanismus zum Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte ergänzt. Dieser zielt in erster Linie auf Länder, die dem wirtschaftlichen Wettbewerb innerhalb der EU nicht standhalten können. Volkswirtschaften, die nicht ausreichend Exporte absetzen, werden auf Strukturreformen verpflichtet. Setzt das betroffene Land die Vorgaben aus Brüssel nicht um, drohen Geldbußen über 0,1 % des Bruttoinlandprodukts.

Klute abschließend: "Mit der Reform werden die öffentlichen Finanzen in ein völlig unflexibles Zwangskorsett gesteckt. Dabei zeigt es sich gegenwärtig in Griechenland, dass blinde Sparwut keine intelligente wirtschaftspolitische Lösung darstellt. Noch nicht einmal das immer wieder beschworene Vertrauen der Märkte wird so hergestellt. Wenn Europa sich nicht einer ökonomischen und sozialen Dauerkrise hingeben will, braucht es nun wirkungsvolle Ausgleichs-Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung, sowie unverzügliche Entlastungen für die von der Eurokrise betroffenen Staaten. "