Mehr als Sozialpolitik: Die europäische Dimension des Mindestlohns

Kommentar für Ruhrbarone.de

04.07.2014
Jürgen Klute

Seit fast zehn Jahren wird in Deutschland leidenschaftlich um den Mindestlohn gestritten. Gestern nun hat der Bundestag mit großer Mehrheit (535 Ja-Stimmen, 5 Nein-Stimmen, 61 Enthaltungen) beschlossen, dass es ab dem 1. Januar 2015 auch in Deutschland einen Mindestlohn gibt. Damit haben dann 22 der 28 EU-Mitgliedsländer einen gesetzlichen Mindestlohn, der eine Bandbreite von 0,95 Euro (Bulgarien) bis 11,10 Euro pro Stunde (Luxemburg) umfasst (Stand: Oktober 2013).

DGB, Die Linke und auch der für Soziales und Beschäftigung zuständige EU-Kommissar Lazlo Andor kritisieren zwar die im Mindestlohn vorgesehenen Ausnahmen und teils auch die Komposition der Mindestlohnkommission.

Doch trotz dieser durchaus begründeten Kritik ist die Einführung des Mindestlohnes ein Meilenstein. Allerdings keineswegs nur aus sozial- und tarifpolitischer Sicht. Die EU-Kommission im Rahmen der seit 2011 jeweils im Frühjahr veröffentlichten länderspezifischen Empfehlungen zur wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Mitgliedsländer kontinuierlich die schwache Entwicklung des deutschen Binnenmarktes und die einseitige Ausrichtung der deutschen Wirtschaft auf den Export. Diese einseitige Exportorientierung führt zu den enormen Handelsbilanzüberschüssen der Bundesrepublik. Diese Handelsbilanzüberschüsse tragen wiederum zu den Defiziten in den Krisenländern Südeuropas bei, in die nach wie vor ein großer Teil der deutschen Exporte verkauft wird. Auf Dauer geht das eben nicht gut, wenn einer nur verkauft und andere nur kaufen – und zwar für beide Seiten nicht.

Aus diesem Grund fordert die EU-Kommission seit 2011, dass die Löhne in Deutschland in gleichen Umfang steigen sollen, wie die Produktivität steigt, dass der Missbrauch von Minijobs unterbunden werden soll und Minijobs in normale sozialversicherungsverträgliche Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden sollen und dass mehr Geld in die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und in Bildung, Ausbildung und Forschung investiert werden soll. Mit diesen Maßnahmen – so die EU-Kommission – soll die Binnennachfrage bzw. der Binnenmarkt in Deutschland gestärkt werden. Gleichzeitig geht die EU-Kommission davon aus, dass damit auch der Exportüberschuss ab gebaut werden kann.

Die Einführung des Mindestlohnes ist also keineswegs “nur” eine sozial- und tarifpolitische Maßnahme auf deutsche Ebene. Mit der Einführung des Mindestlohnes erkennt die Bundesregierung implizit die Kritik der EU-Kommission an der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik an – und damit gesteht sie faktisch ein, dass die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik zu der seit nun schon über fünf Jahren andauernden Euro-Krise beigetragen hat und nach wie vor beiträgt. Die Einführung des Mindestlohnes ist der erster strukturelle, wirtschaftspolitische Beitrag der Bundesregierung zum Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte im EU-Binnenmarkt und damit ein Beitrag zur Überwindung der Euro-Krise – dem allerdings noch weitere mindestens ebenso große Schritte folgen müssen, wie eine gemeinsame Fiskal- und Sozialpolitik und gemeinsame Staatsanleihen der EU!