"Kein fassbares Interesse der Linken an Demokratisierung der EU"

Jürgen Klute im ND-Interview mit Uwe Sattler.

15.02.2014
Jürgen Klute, Fragen: Uwe Sattler (ND)

nd: Sie haben Ihre Entscheidung, sich nicht mehr für einen Platz auf der Kandidatenliste für die Europawahlen zu bewerben, auch damit begründet, dass es eine zu große Nähe zwischen der LINKEN und rechtspopulistischen Positionen gäbe. Das ist starker Tobak.
Klute: Das hat sich durch die Änderungen in der Präambel des Wahlprogramms etwas modifiziert, wenn auch nur wenig. Wenn es heißt, die Europäische Union sei kapitalistisch, militaristisch, undemokratisch und den Menschen von außen aufgedrückt, und wenn zugleich gefordert wird, die Demokratie und das Grundgesetz zu verteidigen gegen die EU, dann folgt DIE LINKE ziemlich exakt der »modernisierten« Argumentation rechter Parteien. Praktisch bedeutet das: Deutschland muss die eigenen Interessen gegenüber anderen Staaten verteidigen und durchsetzen. Das ist Nationalchauvinismus pur.

Die EU ist sehr wohl kapitalistisch, militaristisch und in wesentlichen Fragen undemokratisch.
So einfach kann man sich das nicht machen. Natürlich ist die EU kapitalistisch. Wir haben ja auch kein nichtkapitalistisches Land, sondern leben in einem kapitalistischen System. Und was heißt undemokratisch? Ja, zu Beginn der europäischen Integration gab es keine Bürgerbeteiligung. Seit 1979 gibt es das Europaparlament. Inzwischen sind wir so weit gekommen, dass dieses Parlament in den wichtigsten Politikfeldern die Rolle eines Mitentscheiders, gemeinsam mit dem Rat, innehat. Es gibt in der EU einen langjährigen Prozess der Demokratisierung, der sich heute beispielsweise an der Auseinandersetzung um die Rolle der Troika und der Troika-Politik zeigt.

DIE LINKE muss sich entscheiden. Entweder lehnt sie die EU als ganze ab oder sie fängt an, sich genauer mit der europäischen Integration zu befassen und differenziert zu schauen, welche Missstände, welche Projekte und welche Akteure sie kritisieren will. Es geht nicht darum, Missstände weniger scharf zu kritisieren. Aber anstatt die EU einfach pauschal abzulehnen wäre es sinnvoller, sich zu überlegen, wen man stärken und wen man schwächen will. »Die EU« gibt es nicht - wir haben einen Rat, wir haben die EU-Kommission und wir haben das EU-Parlament. Und leider gibt es in DER LINKEN eben kein fassbares, konkretes Interesse, das EU-Parlament zu stärken und die Demokratisierung der EU damit ernsthaft voranzutreiben.

Genau das würde sich aber lohnen. Ein Beispiel: Es stimmt, dass das Parlament laut EU-Vertrag nicht das Recht hat, Gesetzesinitiativen vorzulegen. Aber: Das EU-Parlament hat der Kommission nach den letzten Wahlen ein Abkommen abgetrotzt, in dem die Kommission sich freiwillig verpflichtet hat, Initiativen des Parlaments zu ermöglichen. Nicht alle Kommissare halten diese Zusage ein, aber etwa die Hälfte aller Initiativen, die das Parlament gefordert hat, hat die Kommission vorgelegt. Klar, formal gesehen hat das EU-Parlament mit dem fehlenden Initiativrecht gegenüber dem Bundestag oder den Landtagen ein klares Defizit. Trotzdem habe ich nicht unbedingt den Eindruck, dass aus dem Bundestag oder den Ländern in den vergangenen Jahren wichtigere Initiativen gekommen sind als aus Straßburg. Würde die Linke sich weniger mit der Theorie und mehr mit der Praxis beschäftigen, könnte sie zumindest Notiz von einem lebendigen Prozess nehmen, in dem versucht wird, das europäische Projekt weiter zu demokratisieren.

Trotzdem: Linke und Rechte haben doch für ihre Kritik an der EU oder deren prinzipieller Ablehnung ganz verschiedene Motive.
Man kann natürlich theoretisch unterschiedliche Begründungen für diese Positionen vortragen. Aber die Frage ist doch, wie wir in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und wessen Argumente wir damit stärken. Wenn ich auf einer nationalstaatlichen Ebene argumentiere und dann immer aus der deutschen Position heraus – »wir müssen die Sozialstandards der Bundesrepublik auf nationaler Ebene gegen die EU verteidigen« – dann ist das doch die gleiche Logik, die Merkel und die Rechtspopulisten auch vertreten. Das hat einen nationalistisch-chauvinistischen Touch und leider hat es auch nichts mit dem von der LINKEN so gern zitierten Internationalismus zu tun.

Aber gerade die Ablehnung der Troika-Politik zieht sich wie ein roter Faden durch das Wahlprogramm.
Verbal schon. Aber wenn man sich in den südeuropäischen Krisenländern konkret informiert, sieht die Welt völlig anders aus. Und diese Perspektive wird kaum transportiert, sondern man beschränkt sich auf eine sehr abstrakte Kapitalismuskritik, die ja theoretisch richtig sein mag. Aber solche Vorhaben wie die europäische Bankenunion, die von der LINKEN als allein im Interesse des Kapitals abgetan wird, sind beispielsweise für Griechenland oder Portugal überlebenswichtig. Das haben mir selbst Abgeordnete von SYRIZA oder dem portugiesischen Bloco de Esquerda bestätigt. In einer Krisensituation, in der ganze Länder ausbluten, kann man im wohlhabenden Deutschland natürlich bequem ideologisieren. Damit überlassen wir die Weichenstellungen über die Zukunft der EU aber anderen. Vor der Frage, was Deutschland konkret für die Bevölkerung in Griechenland und den anderen Krisenländern tun müsste, verschließen wir die Augen. Im Endeffekt ist das dann eben genauso chauvinistisch wie nationalistisch. Die sozialen Verwerfungen in den Krisenländern lassen sich nicht mit einer Fokussierung auf die nationale Ebene beseitigen, sondern nur durch solidarisches Handeln auf EU-Ebene.

Wie soll sich die Linke von der Rechten abgrenzen?
Das Problem ist, dass es in der Linken europaweit keine echte Analyse der Eurokrise gibt. Und noch viel weniger gibt es eine abgestimmte oder kohärente Positionierung, wie man denn aus der Krise rauskommen könnte. Praktisch alle ziehen sich auf nationalstaatliche Lösungen zurück, SYRIZA und der Bloco Esquerda mit Abstrichen auch. Aber wir haben es doch mit einem Kapitalismus zu tun, der global agiert. Wie will denn ernsthaft ein kleines Land wie Portugal oder Zypern sich gegen weltweit agierende Konzerne durchsetzen? Wie wollen wir - jeder für sich - die Finanzmärkte regulieren? Wie wollen wir auch nur irgendetwas durchsetzen, was der Macht der großen Konzerne ernsthaft Grenzen setzt? Das geht nur im europäischen Rahmen. Das muss die europäische Linke endlich begreifen. Und die deutsche Öffentlichkeit genauso.

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