Eurokrise: Banken retten ohne Ende

BEITRAG von YVES WEGELIN, DIE WOCHENZEITUNG (Schweiz)

28.06.2011

Griechenland steht vor dem Staatsbankrott. Gegenwärtig beraten die Eurostaaten über ein zweites Rettungspaket. Wo liegen die Ursachen der Krise? Wer bezahlt, wer verdient? Und was wäre die Alternative zu den Rettungspaketen?

Im Minutentakt fuhren die glänzend polierten Staatskarossen am Dienstag vergangener Woche, kurz vor vierzehn Uhr, vor dem Ministerratsgebäude in Brüssels EU-Viertel vor: Chris­tine Lagarde, Wolfgang Schäuble, Jean-Claude Juncker: Finanzministerin um Finanzminister s­tiegen aus ihren Limousinen, diktierten ein paar Platitüden in die Mikrofone der spalier­stehenden Journalisten, um kurz darauf irgendwo in den langen Gängen des Justus-Lipsius-Gebäudes zu verschwinden, einem protzigen Klotz aus roten Steinsäulen und Glas.

Es ist wieder mal so weit: Der griechische Staat steht kurz vor dem Bankrott. Ein Jahr nachdem die FinanzministerInnen der Eurostaaten – zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) – ein Rettungspaket von 110 Milliarden Euro schnürten, wird über einen neuen Kredit verhandelt. Das erste Paket, das Griechenland bis 2013 in Tranchen aus­bezahlt werden soll, reicht nicht aus. Anders als erwartet, wird sich Griechenland nicht bereits ab nächstem Jahr wieder Geld auf den Finanzmärkten beschaffen können. Zur Diskussion steht ein Neukredit von 90 Milliarden.

Dass Griechenland Geld braucht, darüber waren sich die EU-FinanzministerInnen, Währungskommissar Olli Rehn sowie Zentralbankchef Jean-Claude Trichet – die sogenannte Eurogruppe – zum Verhandlungsauftakt einig. Umstritten war jedoch folgende Frage: Sollen auch die Besitzer der griechischen Staatsanleihen einen Beitrag zur Sanierung Griechenlands leis­ten? Jene Banken, Versicherungen oder Pensionskassen, die dem griechischen Staat das Geld geliehen haben? Ja, war Deutschlands Regierung überzeugt: Wenige Tage vor dem Treffen der Eurogruppe erhielten ihre Mitglieder Post aus Berlin: «Jede zusätzliche Finanzhilfe für Griechenland», so stand im Brief, «muss eine gerechte Lastenaufteilung zwischen Steuer­zahlerInnen und privaten Investoren einschliessen.» Investoren sollten dazu gebracht werden, ihre fälligen Staatsanleihen um sieben Jahre zu verlängern. Unterschrieben war der Brief mit: «Dr. Wolfgang Schäuble, Bundes­minister».

Die Reaktion der Europäischen Zentralbank (EZB) kam postwendend: Noch vor dem Treffen in Brüssel trat EZB-Chef Jean-Claude Trichet vor die Medien und gab in diplomatischen Pirouetten zu verstehen, dass er von Schäubles Vorschlag wenig halte.

Von Bankenkrise zu Bankenkrise

Im September 2008 krachte die US-Investment-Bank Lehman Brothers zusammen, die Weltwirtschaft stand vor einer Abwärtsspirale; und so begann die EZB ihren Leitzins von 4,25 Prozent schrittweise zu senken – im Mai 2009 erreichte er die Marke von 1 Prozent. Damit eröffnete sich für Banken ein nettes Geschäft: Angesichts einbrechender Steuereinnahmen und steigender Ausgaben zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise war Griechenland – mit einem damaligen Schuldenstand von knapp 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – zunehmend auf geliehenes Geld angewiesen. Geld, das die Banken gerne lieferten. Denn nun erhielten sie es bei der EZB für 1 Prozent. Und liehen es dem griechischen Staat zu rund 5 Prozent.

Über die folgenden Monate kam dieses Geschäft so richtig in Schwung. Je mehr Schulden Griechenland aufnahm, desto stärker stuften die internationalen Ratingagenturen seine Kreditwürdigkeit herab. Griechenlands (Risiko-)Zinsen stiegen weiter, und das Land schlitterte noch tiefer in die Schuldenfalle – ebenso wie Irland, Portugal und Spanien. Gleichzeitig verdienten die Banken immer mehr Geld.

Heute liegt Griechenlands Schuld bei 153 Prozent, das Rating bei «CCC» (das schlechteste weltweit) und die Rendite, die Griechenland für Neuschulden (zehnjährige Anleihen) bezahlen müsste, bei rund 17 Prozent – nun leiht sich das Land Geld bei den Eurostaaten.

Und die Schuldscheine? Viele von ihnen liegen bei griechischen Banken (50 Milliarden Euro, Stand Ende 2010), wie auch bei deutschen (15,6 Milliarden) oder französischen (10,5 Milliarden) – zunehmend jedoch bei der EZB. Über 100 Milliarden Euro sollen laut Schätzungen bereits in ihren Büchern stecken. Angesichts eines drohenden Staatsbankrotts werden die griechischen Schuldscheine den privaten Investoren langsam zu riskant. Und die EZB kauft die Schuldscheine auf oder nimmt sie bei der Vergabe von Liquidität als Sicherheiten ent­gegen, um das Vertrauen in die Schuldscheine zu stärken.

Dabei scheint die Eurogruppe gewillt, Griechenland weiter mit Geld zu versorgen, ohne die privaten Investoren bluten zu lassen. Nach einem mehrtägigen Verhandlungsmarathon trat Eurogruppechef Jean-Claude Juncker am Montag vor die Medien und verkündete, private Investoren sollten nur freiwillig einen Beitrag zur Sanierung Griechenlands leisten. Der endgültige Entscheid werde jedoch vertagt.

Problem eins: «Too big to fail»

Die Stossrichtung von Schäubles Plan wäre nur konsequent: Die Renditen, die die Banken, Versicherungen und Pensionskassen in den letzten Jahren für griechische Staatsanleihen eingestrichen haben, waren nur so hoch, weil ein Zahlungsausfall am Horizont sichtbar war. Nun, da dieses Risiko eingetreten ist, sollten die Banken dessen Folgen auch tragen.

Warum sträubt sich die EZB also dagegen? Sie befürchtet, die Ratingagenturen könnten eine Verlängerung von Anleihefristen als «credit event» einstufen: Griechenland würde für unfähig erklärt, seine Schulden zu zahlen. Mögliche Folgen: Die Ratings für Portugal, Irland und Spanien könnten herabgestuft werden (ihnen könnte ja dasselbe Schicksal blühen); die Banken (wie auch die EZB) müssten einen Teil ihrer Staatsanleihen abschreiben, was gerade die hoch verschuldeten griechischen Institute zum Einsturz bringen könnte; zudem würde die EZB keine griechischen Staatsanleihen als Sicherheiten mehr entgegennehmen, worauf es bei griechischen Banken zum Liquiditätsengpass käme.

Der Welt würde erneut eine Finanzkrise drohen.

Mit der Rettungsaktion der Eurogruppe wird also nicht Griechenland gerettet. Sondern die Versicherungen und Banken. Einmal mehr haben sie sich verzockt. Einmal mehr springt nun die Allgemeinheit für sie ein: mit Rettungspaketen und dem Aufkauf fauler Papiere durch die EZB.

Noch immer sind die Banken «too big to fail»: zu gross, um fallen gelassen zu werden, ohne dass sie die gesamte Wirtschaft mit in den Abgrund reissen.

Problem zwei: Der Euro

Dabei würde selbst eine Fristenverlängerung («Rollover») der Staatsanleihen nicht reichen, um Griechenland aus der Schuldenfalle zu befreien. Das sagen mittlerweile die meisten ÖkonomInnen – rechte wie linke. «Das Problem würde nur hinausgeschoben», sagt Tobias Straumann, Wirtschaftshistoriker an der Universität Zürich. Es gehe Brüssel derzeit vor allem darum, den Schein zu wahren.

«Irgendwann», sagt Tobias Straumann, «wird es es einen Haircut brauchen»: eine prozentuale Kürzung des Nennwerts der Staatsanleihen. Und wenn die Banken dann wirklich zu kollabieren drohten, könnte man sie immer noch direkt retten, so der Wirtschaftshistoriker.

Erstens seien Griechenlands Schulden zu hoch. Und zweitens sei da noch die gemeinsame Währung: Mit dem Euro habe Griechenland keine eigene Währung mehr, die es abwerten könnte. Auf diese Weise hätte Griechenland sonst seine schrumpfende Wirtschaft über höhere Exporte aus dem Sumpf ziehen können. Und so seinen Haushalt sanieren können. Eine tiefe Währung würde die griechischen Waren billiger machen, damit würden sie stärker nachgefragt, so die Theorie.

Der Euro. Tatsächlich ist Griechenland innerhalb der EU ein wirtschaftlich wenig konkurrenzfähiges Land. Der Euro verunmöglicht Griechenland nicht nur, sich aus der aktuellen Schuldenfalle zu befreien. Die gemeinsame Währung führt seit zehn Jahren dazu, dass Griechenland jährlich in Milliardenhöhe mehr Güter (und Dienstleistungen) importiert als ins Ausland verkauft. Im Gegensatz zu Deutschland, Europas Exportmeister.

Vereinfacht gesagt: Die Deutschen verkaufen den Griechen Waren, worauf sie das Einkommen, das sie daraus erzielen, wieder den Griechen leihen – damit diese noch mehr deutsche Waren kaufen. Natürlich gab es in Griechenland auch die immer wieder genannte staatliche Korruption, Klientelismus und weitverbreitete Steuerhinterziehung. Doch das ist eben nur die halbe Geschichte.

Kritische Stimmen hatten bereits vor der Einführung des Euro vor dessen Folgen gewarnt. Doch die gemeinsame Währung war auch ein ideologisches Projekt: Der Euro sollte EuropäerInnen in einen direkten Konkurrenzkampf zueinander stellen, durch den harten Wettbewerb würde Europa insgesamt wirtschaftlich gestärkt – so die Idee.

Im Jahr 11 nach der Einführung des Euro sieht die Realität allerdings anders aus. Zwar ist das Problem mittlerweile auch in Brüssel, Berlin und Paris erkannt worden. Doch die Rezepte sind die alten: Abbau des Sozialstaats, runter mit den Löhnen. Irgendwann sollten auch die Griechen im Wettbewerb mithalten können.

Bisher hat das Rezept wenig genutzt. Während die EuropäerInnen nicht mehr griechische Produkte kaufen als bisher, sinkt aufgrund der Sparanstrengungen die Inlandnachfrage weiter. Die Wirtschaft schrumpft. Die staatlichen Schulden steigen.

Die Alternativen

Was also ist die Alternative? Eine, die nicht nur realistisch, sondern auch für die Menschen erträglich ist? Den Weg weist eine linke Minderheit aus Sozialdemokraten, Grünen und Mitgliedern der Linksfraktion im Europäischen Parlament in ihrem Aufruf «Change Europe!». Die Notwendigkeit einer Sanierung des griechischen Staates wird auch darin anerkannt. Gleichzeitig fordern sie, auf die «blinde Spar­politik» zu verzichten, um wichtige Investitio­nen und die Nachfrage nicht vollkommen abzuwürgen.

Vor allem wagt sich der Aufruf aber an ein Tabu: das der Transferunion. Die Idee: Statt Länder wie Griechenland (erfolglos) konkurrenzfähig zu trimmen, soll die EU als Ganzes für sie einstehen. Dies könnte durch die Umverteilung gemeinsam erhobener Steuern in wirtschaftlich schwache Regionen erfolgen – ähnlich dem Schweizer Finanzausgleich. Der Aufruf schlägt eine bescheidenere Variante vor: Die Einführung von EU-Anleihen («Eurobonds»). Jürgen Klute, EU-Parlamentarier der Linksfraktion, sagt: «Damit könnten die Schulden der einzelnen Staaten vergemeinschaftet werden.» Griechenland würde damit für seine Schulden auch tiefere Zinsen zahlen.

Sven Giegold, EU-Parlamentarier der Grünen und Mitinitiant des Aufrufs, pocht schliesslich auf eine Forderung, die in Brüssel immer lauter zu hören ist: «Deutschland muss mit seinem Lohndumping aufhören!» Das Land habe seine Konkurrenzfähigkeit nicht zuletzt mit dem ständigen Drücken der Löhne erreicht.

Noch bestimmen in Brüssel jedoch in ers­ter Linie die Präsidenten und Ministerinnen der EU-Mitgliedsstaaten die Politik. Am 3. Juli trifft sich die Eurogruppe zu nächsten Gesprächen. Dann wird weitergewurstelt.

Schweizer Engagement

Mitte 2009 verzeichneten in der Schweiz gemeldete Banken Forderungen von 64 Milliarden Dollar gegenüber dem griechischen Staat, Unternehmen und Privatgläubigern. Ein halbes Jahr später waren es noch 3,6 Milliarden Dollar.

Der Rückzug ist nicht auf die Vorsicht der Schweizer Banken zurückzuführen, sondern auf eine einzige Transaktion einer griechischen Holdinggesellschaft in der Schweiz. Der Reeder und Milliardär Spiros Latsis hatte seine EFG Holding in Genf gemeldet und verwaltete damit die Eurobank EFG, die drittgrösste Bank in Griechenland, sowie eine Privatbank in Zürich. Ende 2009 verlagerte er den Sitz von Genf nach Luxemburg, dessen Bankensektor kaum reguliert ist. Damit wurden 60 Milliarden Dollar aus den Schweizer Statistiken gestrichen. Im vergangenen Jahr haben die Schweizer Banken die Kredite weiter auf 2,8 Milliarden Dollar reduziert.

WOZ vom 23.06.2011 (Artikel im Internetauftritt der WOCHENZEITUNG)