Kompromiss zum Mehrjährigen Finanzrahmen – Worum geht’s ?

FRAGEN und ANTWORTEN zu EU-HAUSHALT & MEHRJÄHRIGEM FINANZRAHMEN

11.02.2013

Beim Ratsgipfel vom 8. Februar haben sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten auf einen Kompromiss zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 geeinigt. Doch damit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen! Alle Entscheidungen, die den Haushalt der Europäischen Union betreffen, brauchen den Segen der EU-Abgeordneten. Im März wird das Parlament entscheiden, ob es bei dem Verhandlungsergebnis der Regierungen bleibt. Nach deren Vorschlag sollen im neuen Haushaltszyklus 88 Milliarden EURO eingespart werden. Das Problem der Unterfinanzierung, das sich bereits in den vergangenen Haushaltsjahren negativ auf EU-Programme wie Erasmus ausgewirkt hat, würde damit noch einmal verschärft.

Mit den Worten von Martin Schulz in seiner Rede auf dem vergangenen EU-Gipfel: "Wir, die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament, beschließen gemeinsam Projekte und Programme. Diese Entscheidungen sind rechtsverbindlich. In der Folge werden dann wie vereinbart diese Projekte umgesetzt, Verbindlichkeiten eingegangen und Verträge abgeschlossen, z.B. um Infrastrukturprojekte in Ihren Ländern finanziell zu unterstützen. Aber dann weigern Sie sich plötzlich, die auflaufenden Rechnungen zu bezahlen. So geschehen im Herbst des letzten Jahres. Um die Folgewirkung zu erklären, gestatten Sie mir bitte einen kurzen Hinweis auf die aktuelle Haushaltslage 2013."

"Als Präsident des Europäischen Parlaments habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, dass die EU im Oktober 2012 bereits praktisch zahlungsunfähig war. Obwohl die Rechnungen für November und Dezember noch ausstanden, fehlten bereits im Oktober neun Milliarden Euro. Mich erreichte dann ein Brandanruf des Haushaltskommissars mit dem Inhalt: Die Mitgliedstaaten verweigern die Zahlungen! Bereits Ende Oktober waren die im Jahr 2012 zur Verfügung stehenden Zahlungen also erschöpft, die EU faktisch pleite, ein Nachtragshaushalt musste dringend verabschiedet werden! Doch von einem Finanzminister wurde mir kühl beschieden: Wir wissen, dass wir diese Verpflichtungen eingegangen sind, aber wir werden die Zahlungen trotzdem nicht leisten", so der Präsident des EU-Parlaments.

Neben der Frage, wer viel bezahlen muss, und mit welchen Summen die europäischen Institutionen arbeiten dürfen, geht es natürlich auch um die Frage, welche Ziele mit den gemeinsamen Projekten erreicht werden sollen, d.h. welche Haushaltsposten wie gewichtet werden. Die daraus hervorgehende Struktur des Haushalts muss eigentlich gemeinsam zwischen Parlament und Rat ausgehandelt werden. Die Regierungen haben mit dem am vergangenen Freitag vorgelegten Kompromiss die Haushaltskompentenzen, die ihnen die EU-Verträge zubilligen, jedoch klar überschritten.

An Prioritäten und Gewichtungen des EU-Haushalts soll sich demnach wenig bis nichts ändern. Gegen den Einspruch des Parlaments wollen die Regierungschefs allerdings als Neuerung durchsetzen, dass Regionen, deren Mitgliedsstaaten die verschärften Defizitregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht einhalten können, Mittel aus den Kohäsionsfonds gestrichen werden. Nichts anderes als die Überlebensfähigkeit der ärmsten Regionen Europas steht auf dem Spiel!

In der Plenardebatte vom 7. Februar 2013 appellierte Gabi Zimmer[1] an die Verantwortung des Parlaments in dieser wichtigen Frage: "Die Mehrheit der Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament hatte angekündigt[2], den Kürzungen der Regierungen nicht zuzustimmen, wenn der Rat nicht auf die Forderungen des Parlaments eingehe. Ich erwarte, dass die Fraktionsvorsitzenden zu ihren Worten stehen, wenn wir über diesen Finanzrahmen entscheiden".

Wie steht DIE LINKE zu den Haushaltsverhandlungen? Die fünf wichtigsten Fragen zum EU-Haushalt beantwortet Jürgen Klute, stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss und Mitglied im Sonderausschuss zur Mehrjährigen Finanzplanung.

Wo sehen Sie im EU-Haushalt das größte Potenzial für Kürzungen?

Wir sollten nicht vergessen, dass zwischen den Regionen der EU noch immer sehr große Unterschiede in den Lebensbedingungen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeiten herrschen. In einem Binnemarkt, in dem Standorte und Unternehmen in sehr direkter Konkurrenz stehen, ist das ein großes Problem. Der EU-Haushalt ist noch immer das zentrale Instrument, das die Aufgabe hat, hier gegenzusteuern. Auch wenn es sicher Bereiche gibt, wie etwa der Agrarsektor, in denen die EU-Mittel besser verwendet werden können, wären Kürzungen definitiv kontraproduktiv für den Zusammenhalt in der EU.

In welchen Bereichen sollte nicht gekürzt, sondern tatsächlich noch mehr Geld investiert werden?

Der im Dezember veröffentlichte Sozialbericht der EU-Kommission zeigt uns, wie sehr die Krise zu einem Außeinanderdriften zwischen Nord- und Südeuropa geführt hat, aber auch insgesamt zu einer Zunahme der Armut. Die EU ist weit davon entfernt ihre eignen, bescheidenen Ziele zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit zu erreichen. Die Mitgliedsstaaten müssen deshalb unbedingt zuätzliche Mittel zur Förderung von Wachstum, Kohäsion, Forschung und Armutsbekämpfung zur Verfügung stellen.

Von welcher Kernforderung werden Sie auf keinen Fall abrücken?

Der EU-Haushalt darf am Ende des Tages nicht unterfinanziert sein, er muss die absehbaren Zahlungsverpflichtungen decken können. Das ist das absolute Minimum, um das wir nicht herumkommen werden. Wir müssen folgendes bedenken: Die EU ist vertraglich verpflichtet, sich nicht verschulden. Diese Verpflichtung wird sehr streng gehandhabt: Jedes Bankkonto der EU-Insitutionen muss zum Ablauf eines Geschäftstages mit mindestens einem EURO gedeckt sein. Das führt dazu, dass Beschäftigte, EU-geförderte Projektträger und Vertragspartner der EU-Institutionen nicht bedient werden können, wenn der Haushalt unterfinanziert ist, was leider 2012 und 2013 der Fall ist. Betroffen waren etwa Studierende, die auf ihre Erasmus-Stipendien warten mussten.

Was ist in Ihren Augen das größte Missverständnis, dem die Öffentlichkeit bezüglich des EU-Haushalts aufsitzt?

In den Medien wird oft das Bild eines aufgeblähten EU-Haushalts gezeichnet, der in erster Linie zur Selbstbedienung der Beamten dient. Das Gegenteil ist der Fall: Lediglich 1 % der Wirtschaftsleistung der EU-Staaten fließt in den EU-Haushalt. 94 % dieser Mittel werden für Investitionen aufgewendet, mehr als 90 % fließen zurück in Projekte in die Mitgliedsländer, insbesondere in strukturschwache Regionen. Und alle Gelder, die hierfür nicht gebraucht werden, werden am Ende eines Jahres zurück an die Geberländer überwiesen.

Das EU-Parlament hat verschiedene Möglichkeiten, Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen. Wie weit würden Sie und Ihre Fraktion gehen wollen?

Es ist ganz einfach: Das EU-Parlament muss jedem EU-Haushalt, ebenso wie dem mehrjährigen Finanzrahmen seine Zustimmung geben. Verweigert es diese Zustimmung, kommt kein neuer Haushaltsplan zu Stande. Der Vertrag regelt sehr genau, dass in diesem Fall, die Mitgliedsländer Ihren Verpflichtungen auf der Basis des Haushalts des Vorjahres weiter nachzukommen. Die Finanzminister begehen also einen großen Fehler, wenn sie denken, sie könnten die Forderungen des Parlaments übergehen.

Fragen: Silke Mülherr, DIE WELT.

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WEITERLESEN:

Florian Eder, Silke Mülherr: Wie sich die EU für den gemeinsamen Haushalt quält, DIE WELT, 7.2.2013[3]

Links:

  1. http://youtu.be/D95wFcjAw24
  2. http://www.welt.de/politik/ausland/article113465691/Wie-sich-die-EU-fuer-den-gemeinsamen-Haushalt-quaelt.html
  3. http://www.welt.de/politik/ausland/article113465691/Wie-sich-die-EU-fuer-den-gemeinsamen-Haushalt-quaelt.html

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