Die Krise der Arbeit und ihre Zukunft

Beitrag zur WASG Delegiertenkonferenz am 27. 02. 2005 im Kolpinghaus in Düsseldorf anlässlich des Beschlusses des WASG NRW-Wahlkampfprogramms

27.02.2005
Jürgen Klute

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor wir heute in die Diskussion des Wahlkampfprogramms der WASG eintreten, habe ich es übernom- men, noch einmal einige grundsätzliche Überlegungen zum Hauptabschnitt des WASG Programms bei- zusteuern: nämlich zum Thema Arbeit.

Zur Bedeutung der Arbeit

Die Erde sorgt für jene, die sie ernähren. So heißt ein afrikanisches Sprichwort. Es ist eine sehr bodenstän- dige und handfeste Beschreibung der zentralen Bedeutung von Arbeit. Für die große Mehrheit der Men- schen bedeutet Arbeit vor allem Existenzsicherung. Und darüber hinaus bedeutet Arbeit natürlich auch Sinngebung und soziale Kontakte.

Im Wirtschaftssystem der BRD ist die Erwerbsarbeit zu dem das zentrale Verteilungsinstrument, durch dass Bürger und Bürgerinnen am Bruttosozialprodukt beteiligt werden, und durch das die sozialen Versi- cherungssystem gespeist werden.

Allerdings: dieses Verteilungsinstrument funktioniert nur bei Vollbeschäftigung. Und die haben wir seit über einem Viertel Jahrhundert nicht mehr. Infolge der Massenarbeitslosigkeit hat dieses Verteilungsinstru- ment seine Funktionsfähigkeit also weitgehend verloren.

Arbeit, Arbeitslosigkeit und ihre Folgen sind daher für viele Menschen das zentrale Thema. Das gilt für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei Opel, das gilt für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei Karstadt, das gilt für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei der Deutschen Bank, das gilt für die Ar- beitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei all den anderen Unternehmen, die in diesen Wochen erneut und trotz aller Steuer- und Kostensenkungen und trotz guter Gewinnlagen Arbeitsplätze abbauen wollen. Und das gilt für die Schulabgänger und Schulabgängerinnen, die jetzt auf der Suche nach Ausbildungsplätzen sind und von denen bis heute nur eine kleine Minderheit einen Ausbildungsvertrag in ihren Händen hält.

Das im Programm der WASG das Thema Arbeit an oberste Stelle steht und das es den größten Raum unter den Programmthemen einnimmt, ist gut und richtig. Damit trägt es der Bedeutung der Arbeit und dem Problem der Arbeitslosigkeit Rechnung.

Eine Krise der Arbeit oder eine Krise der Verteilung?

Die Debatte um die Krise der Arbeitsgesellschaft ist nicht neu. Zu unserer Erinnerung: Sie wurde schon einmal sehr lebhaft Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts geführt, also vor rund einem viertel Jahrhundert. Es gab derzeit einige sehr interessante und gute Debattenbeiträge, die bis heute nicht an Aktualität verloren haben. Aus drei Beiträgen will ich hier einige Zeilen zitieren:

  • „1931/32 ging das Bruttosozialprodukt in Deutschland innerhalb von 8 Monaten um 25% zurück. Heute verändert sich das Bruttosozialprodukt kaum. Das Volkseinkommen ist kon- stant oder leicht steigend. Gleichwohl nimmt die Zahl der Arbeitslosen zu. Das heißt, die Produktion, die das Volkseinkommen erzeugt, ist offensichtlich in Ordnung, leistungsfähig und stabil. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass der produktive Teil der Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage wäre, das gegenwärtige Sozialprodukt auf hohem Niveau und die konjunkturellen Schwankungen in engen Grenzen von 1-2% zu hal- ten.

  • Was heute betroffen ist, ist demnach nicht der produktive Teile unserer Volkswirtschaft, son- dern das Verteilungssystem. Das System also, mit dem wir die Menschen am gemeinsam er- zeugten Volkseinkommen beteiligen. Hier liegen die eigentlichen Probleme, hier ist der ei- gentliche Ort unserer Schwierigkeiten.

  • Das Verteilungssystem, das wir uns geschaffen haben, um alle Menschen am Volkseinkom- men zu beteiligen, ist von den jüngsten wirtschaftlichen und technologischen Entwicklun- gen...betroffen und in seiner Funktionsfähigkeit teilweise außer Kraft gesetzt. Was wir erle- ben, ist keine Krise der Wirtschaft, sondern die Krise der Verteilungssysteme. Diese Krise ist dadurch entstanden, dass die moderne Technologie mit immer weniger Arbeit auskommt und deshalb immer weniger Menschen über die Teilnahme am organisierten, arbeitsteiligen Produktionsprozess am Volkseinkommen beteiligt werden können...

  • Daraus folgt: alle Maßnahmen, die auf die Verbesserung der Produktionsstruktur gerichtet sind, gehen am Problem der Arbeitslosigkeit vorbei, denn sie haben eine Verbesserung einer Struktur zum Ziel, die im wesentlichen gesund ist und deren marginale Verbesserung die ei- gentlichen Ursachen für die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen kann.“

    Dieses Zitat stammt aus dem Jahre 1983, und zwar – man mag es kaum glauben – von Kurt Biedenkopf.

    Das zweite Zitat aus dieser Debatte stammt aus dem Jahr davor, aus 1982. Es kommt aus der Feder von Wassily Leontief.

  • „Adam und Eva erfreuten sich vor der Vertreibung aus dem Paradies eines sorglosen Lebens im Überfluß, und das ohne Arbeit. Erst nach ihrer Vertreibung mußten sie und ihre Nach- kommen sich kümmerlich durchschlagen, dazu verdammt, vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung zu arbeiten. Die Geschichte des technischen Fortschritts der letzten 200 Jahre ist im Grunde die Geschichte der Menschheit, sich langsam aber stetig wieder ein Pa- radies zu schaffen. Was aber würde geschehen, wenn wir uns tatsächlich darin wiederfän- den? Wenn alle Güter und Dienstleistungen ohne Arbeit zu haben wären, würde niemand mehr gegen Entgelt beschäftigt. Arbeitslos sein hieße aber, ohne Einkommen sein, folglich würden im Paradies alle solange Hunger leiden, bis sich eine den veränderten Produktions- bedingungen angepaßte Einkommenspolitik durchgesetzt hätte.

  • Früher oder später – sehr wahrscheinlich früher – wird sich die zunehmend technisierte Ge- sellschaft daher noch einem anderen Problem stellen müssen: der Frage einer sinnvollen Einkommensverteilung...

  • Um der Gefahr einer wachsenden, technisch bedingten Arbeitslosigkeit langfristig begegnen zu können, sollte die staatliche Politik das Ziel verfolgen, eine gerechtere Verteilung von Ar- beit und Einkommen sicherzustellen, und zwar ohne dabei direkt oder indirekt den techni- schen Fortschritt zu behindern.

  • Es wird keineswegs leicht sein, die bestehenden Verhältnisse an die Erfordernisse und Aus- wirkungen arbeitssparender Technik anzupassen. Außerdem dürfte es einige Zeit brauchen, bis man von der protestantischen Arbeitsethik mit dem Ideal eines harten und fleißigen Ar- beitseinsatzes abkommt.“

    Mein letztes Zitat aus jener Debatte kommt aus der Feder von André Gorz, ebenfalls aus dem Jahr 1982:

    „Mit weniger Arbeit mehr produzieren, die Früchte des technischen Fortschritts besser ver- teilen, ein neues Gleichgewicht schaffen zwischen Pflichtarbeit und frei verfügbarer Zeit, allen Menschen die Möglichkeit zu einem entspannteren Leben und vielfältigeren Beschäf- tigungen geben, dies sind die neuen Ziele, um die es sozial und politisch zu kämpfen gilt.“

    Diese Zitate belegen: Von André Gorz auf der linken Seite bis hin zu Kurt Biedenkopf auf der konservati- ven Seite war den Teilnehmern jener Debatte zu Beginn der 80er Jahre sehr bewusst, welche Bedeutung und welche tiefgreifenden Konsequenzen die technologische Entwicklung – insbesondere die rasante Ent- wicklung der elektronischen Datenverarbeitung – für die Arbeitswelt, aber auch für die gesamte Gesell- schaft haben wird.

    Ihnen war bewusst, dass der technologische Fortschritt zum einen eine qualitative Veränderung der Ar- beitswelt bedeutet: Nämlich dass sich die Arbeitsbeziehungen und die Arbeitsorganisation nachhaltig än- dern werden.

    Vor allem aber war ihnen bewusst, dass der technologische Fortschritt quantitative Veränderungen der Ar- beitswelt mit sich bringt: Also dass der Bedarf an Arbeitskräften langfristig und rasant zurückgeht – bei gleichzeitiger Steigerung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, dass es also zu einem dramati- schen Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen wird, wie wir ihn in den 80er und 90er Jahren bis zum heuti- gen Tage hin – dem 27. Februar 2005 – erlebt haben und erleben.

    Aus heutiger Sicht lässt sich nur sagen, dass Kurt Biedenkopf mit seiner Einschätzung von 1983 richtig ge- legen hat (auch wenn er dieser Einsicht als Politiker nicht gefolgt ist): Wir haben keine Wirtschaftskrise, sondern wir haben eine Verteilungskrise! – Wir haben es mit einem Konflikt um die Produktivitäsgewinne zu tun.

    „Mit weniger Arbeit mehr produzieren, die Früchte des technischen Fortschritts besser vertei- len, ein neues Gleichgewicht schaffen zwischen Pflichtarbeit und frei verfügbarer Zeit, allen Menschen die Möglichkeit zu einem entspannteren Leben und vielfältigeren Beschäftigungen geben, dies sind die neuen Ziele, um die es sozial und politisch zu kämpfen gilt.“

    Mit dieser Vision trifft André Groz den Nagel auf den Kopf: Die technologische Entwicklung bedeutet nicht zwangsläufig ein Drama, eine Katastrophe. In der technologischen Entwicklung liegt die große Chance, dem alten Menschheitstraum von einem guten Leben und einem guten Arbeiten ein gutes Stück näher zu kommen.

Aber dieser Traum geht nicht von selbst in Erfüllung. Dafür müssen wir kämpfen. Gegenwärtig sind wir noch mitten in der Auseinandersetzung darum, wem die Produktivitätsgewinne aus dem technologischen Fortschritt zugute kommen, ob es uns gelingt, der Realisierung dieses alten Menschheitstraums einige Schritte näher zu kommen.

Die Neoliberale Aneignungsstrategie

Noch beherrschen die Vertreter des Neoliberalismus die Bühne dieses Verteilungskonfliktes. Noch beten die etablierten Parteien und die Mehrzahl der Medien deren Rezepte nach.

Und dieses Rezept heißt:

Wenn nur die Kosten für die Unternehmen gesenkt werden, die Löhne, die Steuern, wenn nur ausreichend dereguliert wird, dann steigen die Unternehmensgewinne endlich wieder.

Und wenn die Unternehmensgewinne steigen, dann steigen auch die Investitionen. Und wenn die Investitionen steigen, dann steigt natürlich auch das Wachstum.

Und wenn das Wachstum steigt, dann steigt auch die Beschäftigung – dann kommt es also zum Abbau von Arbeitslosigkeit.

Und wenn die Beschäftigung steigt, dann steigen zuguterletzt auch wieder die Steuereinnah- men und die Einnahmen der Sozialkassen.

Seit bald einem Viertel Jahrhundert ist dies Melodie tagein tagaus zu hören. Und trotz aller Kostensenkun- gen und aller Deregulierungen und aller Gewinnsteigerungen ist die Arbeitslosigkeit in dieser Zeit weiter und weiter gestiegen.

Ja, das liegt daran, dass noch nicht genug dereguliert wurde und dass die Kosten noch nicht ausreichend gesenkt wurden, begründen die Vertreter des Neoliberalismus in Wirtschaft, Politik und Medien diesen Tat- bestand.

Hätte ein Arzt einem Patienten über einen so langen Zeitraum die immer gleiche Therapie mit solch kata- strophalen Nebenwirkungen verordnet, er wäre ganz sicher längst wegen Körperverletzung und mangeln- der medizinischer Fachkompetenz vor Gericht gezerrt worden.

Aber wer so denkt, der unterstellt, dass neoliberale Politik ein ernsthaftes Interesse daran hätte, Arbeitslo- sigkeit abzubauen.

Doch wer so denkt, der sollte einmal einen Blick in die "Verfassung der Freiheit"2 von Friedrich August von Hayek, einem der namhaftesten Vertreter neoliberaler Wirtschaftspolitik, werfen.

Dort kann man nachlesen, dass eine Gesellschaft eine hohe Spannung zwischen Arm und Reich braucht. Denn für F. A. von Hayek ist die Spannung zwischen Arm und Reich der Motor gesellschaftlichen Fort- schritts. Opfer sind dabei einkalkuliert – sie sind dem Fortschritt geschuldet.

Nein, nicht die Überwindung der Arbeitslosigkeit ist das Ziel neoliberaler Politik – das ist nur ein Köder für die Öffentlichkeit –, sondern die Spaltung der Gesellschaft ist das erklärte Ziel neoliberaler Politik, um eine polare Spannung zwischen Arm und Reich zu erzeugen als Motor des Fortschritts. Der Neoliberalis- mus steht für eine Politik des Asozialen. Es ist eine asoziale Aneignungsstrategie technischen Fortschritts und der daraus resultierenden Rationalisierungsgewinne..

Die Agenda 2010 und die so genannten Hartz Reformen liegen genau auf der Linie dieser Politik.

In einer besonderen Weise steht Hartz IV für diese Destruktionspolitik. Denn Hartz IV ist weit mehr als eine unverschämte Leistungskürzung. Hartz IV ist ein Systembruch, der aus einem dreifachen Rückschritt besteht – aus einem Rückschritt in die Zeit des Manchesterkapitalismus und der Vormoderne.

Der eine oder die andere von euch erinnert sich vielleicht an den Namen Fritz Perez Naphtali. Fritz Naphtali hat 1928 im Auftrag des ADGB das Buch "Wirtschaftsdemokratie"3 verfasst und herausgegeben.

In diesem Buch geht Naphtali u.a. auf das 1927 neu eingeführte Arbeitslosengeld ein. Die öffentliche und rechtliche Anerkennung eines wirtschaftlichen Existenzrechts – in Ergänzung zur Anerkennung der politi- schen Rechte – abhängig Beschäftigter war ein zentrales Anliegen von Naphtali.4 Das damals neu einge- führte Arbeitslosengeld war für Naphtali Ausdruck der Anerkennung des wirtschaftlichen Existenzrechts abhängig Beschäftigter.5 Die Hauptziele der Einführung des Arbeitslosengeldes waren, einerseits Arbeits- lose sozial abzusichern und andererseits abhängig Beschäftigte materiell so abzusichern, dass sie sich auch im Falle hoher Arbeitslosigkeit gegen Erpressungsversuche durch Arbeitgeber schützen konnten.6

Die zweite Begründung Naphtalis für das Arbeitslosengeld war eine konjunkturpolitische. Das Arbeitslo- sengeld sollte auch eine Art Konjunkturpuffer sein, damit im Falle hoher Arbeitslosigkeit die Binnennach- frage nicht völlig abstürtzt.7

Wir müssen uns heute vergegenwärtigen, dass diese Argumente 1928 aufgeschrieben und gedruckt worden sind. Hinter beide Argumente, hinter beide Einsichten fällt Hartz IV zurück.

Und dann sind da noch die 1-€-Jobs. Das Instrument ist ja nicht neu, sondern unter der Bezeichnung "Zwangsarbeit" schon lange in Gebrauch. Nur bis zum letzten Jahr war es eher ein randständiges Instru- ment. Nun aber ist es von der rot-grünen Bundesregierung (mit Zustimmung der schwarz-gelben Oppositi- on) ins Zentrum der Arbeitsmarktpolitik gestellt worden. Das brisante an diesem Teil von Hartz IV ist, dass die 1-€-Jobs keine Arbeitsverhältnisse im arbeitsrechtlichen Sinne sind. Bekannter maßen ist der 1 € pro Stunde ja kein Lohn, sondern eine Aufwandsentschädigung.

ALG II aus Steuermitteln gezahlt wird und somit diejenigen, die ALG II bekommen, der Gesellschaft ge- genüber in einer Gegenleistungspflicht stehen. Mit deutlicheren Worten gesagt: "Wenn du schon Geld von der Allgemeinheit bekommst, dann kannst du gefälligst auch was für die Allgemeinheit tun." Das ist genau die Logik des Feudalismus. Die 1-€-Jobs sind nichts anderes als die Wiedereinführung feudalistischer Ar- beitsbeziehungen. Das ist der dritte zivilisatorische Rückschritt, der mit Hartz IV auf den Weg gebracht worden ist. Hartz IV ist eine Art tarifpolitisches Versuchslabor. Mit der Anerkennung eines wirtschaftli- chen Existenzrechts von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen im Sinne von Franz Naphtali hat das nicht mehr das Geringste zu tun.

Diese zivilisatorischen Rückschritte sind für sich schon ein Skandal. Ein noch größerer Skandal aber ist, dass die SPD, der einstige politische Flügel der Arbeiterschaft, kaum 80 Jahre nach Durchsetzung dieser außerordentlich bedeutenden zivilisatorischen und sozialpolitischen Fortschritte nicht nur deren Abschaf- fung zulässt, sondern aktiv deren Abschaffung vorantreibt.

Nur: zur Überwindung der Arbeitslosigkeit hat das alles nichts beigetragen und wird das auch nichts bei- tragen.

Das letzte, was dieser Politik nun einfällt, ist, der Wirtschaft zu sagen: Wir, die Politik, haben alles getan – Steuern gesenkt, dereguliert und eure Gewinne befördert – jetzt seid ihr, die Wirtschaft, dran. Denn Ar- beitsplätze kann nur die Wirtschaft schaffen. Clement & Co. übersehen dabei geflissentlich, dass wir in ei- ner kapitalistischen Wirtschaftsordnung leben. Das Ziel einer kapitalistischen Wirtschaft ist es, möglichst hohe Gewinne zu erzielen – nicht aber, möglichst viele Leute zu beschäftigen. Ein Unternehmen, dass mehr Leute beschäftigt, als es für den Betrieb braucht, würde die Kosten erhöhen und die Gewinne senken. Das wäre z.B. ein glatter Verstoß gegen den EU-Verfassungsvertrag, der freien Wettbewerb zum höchsten Wirtschaftsprinzip erklärt und zudem stabile Preise als Verfassungsziel vorgibt8. Also stellen Unternehmen nur dann Leute ein, wenn sie diese brauchen, nicht aber, weil die Steuern gesenkt wurden und die Gewinne gestiegen sind. Mit anderen Worten: Clements hilfloses Argument, Arbeitsplätze entstünden in der Wirt- schaft, ist nichts als ein Wegschieben politischer Verantwortung – und außerdem macht er den Bock zum Gärtner, wenn er der Wirtschaft die Verantwortung für Arbeitsmarkt und Beschäftigung zuschiebt.

Die Alternativen der WASG

Das Grundgesetz der BRD spricht von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums – als Gegenpol zur Eigen- tumsgarantie. Doch eine kontinuierliche und strukturell abgesicherte Einbindung von Unternehmen in so- ziale bzw. gesellschaftliche Verantwortung innerhalb eines kapitalistischen Wirtschaftssystems kann nur über eine angemessene Besteuerung der Unternehmen erfolgen. Der Staat hat hier eine Steuerungsaufgabe wahrzunehmen, da die Konkurrenz- und Wettbewerbswirtschaft aus sich heraus – also systembedingt – so- ziale Gerechtigkeit nicht erzeugen kann.

Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist eine gesellschaftliche, eine politische Aufgabe. Neben der Wirtschaft gibt es bekanntermaßen noch die öffentliche Hand und den Gemeinwohlsektor (Wohlfahrtsverbände, etc.). In diesen beiden Sektoren sind öffentliche und gemeinwohlorientierte Dienstleistungen angesiedelt und es ist noch eine große Zahl von Arbeitsplätzen in diesen beiden Sektoren angesiedelt. (Noch – da die in Vor- bereitung befindliche EU Dienstleistungsrichtlinie – unter dem Namen Bolkenstein-Hammer bekannt liegt seit Februar 2004 ein erster Entwurf vor – sowie das EU Weißbuch zu wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom Mai 2004 diese Dienstleistungen – ganz im Sinne des GATS – weitgehend der Privatwirtschaft zuführen wollen. Der dann einsetzende Wettbewerbsdruck, der im EU Verfassungsvertrag festgeschrieben ist, und der damit verbundene Kostendruck wird in diesen Bereichen Arbeitsplätze kosten und die Arbeitsbedingungen verschlechtern.)

Hier wäre ein viel größeres Angebot an Dienstleistungen nötig und auch möglich. Dienstleistungen, die et- liche neue Arbeitsplätze schaffen können, wenn sie denn angeboten werden.

Ebenso gibt es im Bereich öffentlicher Infrastruktur erhebliche Investitionsbedarfe. Arbeitsplätze entste- hen, wenn diese Investitionsbedarfe bedient werden.

Im übrigen sind die öffentlichen Dienstleistungen und die Infrastrukturmaßnahmen ortsgebunden. Damit sind sie – zumindest bis zu einem gewissen Grad – der Globalisierung entzogen.

Diese Arbeitsplätze können aber nur dann entstehen, wenn die öffentliche Hand entsprechend finanziell ausgestattet ist.

Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt angekommen: Dem Konflikt um die Rationalisierungsge- winne.

Doch mit der WASG betritt ein breites sozialreformistisches Bündnis die politische Bühne, das eine reale Chance hat, den Verteilungskonflikt um die Rationalisierungsgewinne in eine andere Richtung umzusteu- ern.

Auf der wirtschaftstheoretischen Basis von Keynes macht das Wahlprogramm der WASG dazu ausführliche und fundierte Vorschläge.

Unsere Hauptaufgabe wird es in den nächsten Wochen sein, unsere Alternativen zur neoliberalen Politik den Bürgerinnen und Bürgern verständlich zu machen. Nach einem viertel Jahrhundert neoliberaler Ge- hirnwäsche ist das nicht immer einfach. Aber, das zeigen mir die lokalen Veranstaltungen der WASG, an denen ich in den letzten Wochen teilgenommen habe, die Bürgerinnen und Bürger in NRW zeigen Interes- se an der WASG und hören dem aufmerksam zu, was wir sagen. Da liegt unsere Chance.

„Mit weniger Arbeit mehr produzieren, die Früchte des technischen Fortschritts besser vertei- len, ein neues Gleichgewicht schaffen zwischen Pflichtarbeit und frei verfügbarer Zeit, allen Menschen die Möglichkeit zu einem entspannteren Leben und vielfältigeren Beschäftigungen geben, dies sind die neuen Ziele, um die es sozial und politisch zu kämpfen gilt.“

Und – das will ich dieser Vision von André Gorz hinzufügen – dies sind die Ziele, um die es sich zu kämpfen lohnt!!!

In diesem Sinne wünsche ich uns hier und heute eine zielgerichtete und konstruktive Diskussion um unser Wahlprogramm und für die nächsten Wochen einen guten Wahlkampf.

Ich danke euch für eure Geduld und für's Zuhören.

Download-Dokumente:

Schlagwörter: