Mehr Licht! EU-Parlament will Kontrolle über OTC-Geschäfte

HINTERGRUNDPAPIER von K. PETERS/ J. KLUTE

06.07.2011
Mehr Licht! Parlament fordert mehr Transparenz beim Derivate-Handel

Die Produkte, gehandelt unterm Ladentisch (englisch „over the counter") entziehen sich bislang jeder öffentlichen Kontrolle – niemand außer den jeweiligen Geschäftspartnern weiß, was in welchem Umfang zu welchem Preis gehandelt wird und welche Risiken das mit sich bringt. Ein besonders augenfälliges Beispiel sind die Hypothekenverbriefungen (CDO, collaterized debt obligations), deren Zusammenbruch vor vier Jahren die Finanzkrise in wesentlichen Teilen mit ausgelöst hat.

Dieser professionellen Geheimniskrämerei und dem damit verbundenen systemischen Risiko soll mit der Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (im Jargon: EMIR als Akronym zu „European Market Infrastructure Regulation") ein Ende bereitet werden.

Schluss mit der Geheimniskrämerei

Ihren gerechten Lauf nahm die Verordnung vor rund eineinhalb Jahren, als die EU-Kommission erste Konsultationen zum Thema durchgeführt hat. Das ist ein recht gängiges Verfahren, mit dem die Kommission herausfinden will, was gesellschaftlich relevante Gruppen und Betroffene über das Thema zu sagen haben, zu dem gerade eine Gesetzgebung vorbereitet wird. Problem dabei ist, dass sich in der Regel sehr viel mehr Unternehmen und Finanzmarktakteure zu Wort melden als zum Beispiel NGOs, Gewerkschaften, Verbraucherschützer. Der Grund ist dabei noch nicht einmal nur, dass der Zivilgesellschaft das Geld fehlt, sie hat oft auch keinen Zugang zu brauchbaren Marktdaten, das zumindest ist der Fall bei den OTC-Derivaten.

Begleitet wurde das gesamte Verfahren vom Europäischen Parlament, das mit einem Bericht vom Juni vergangenen Jahres[1] zu einigen Punkten Stellung genommen hat.

Die jetzt vorliegende Verordnung hat im Wesentlichen drei Bestandteile: Clearingverpflichtung für bestimmte OTC-Derivate, Zulassung und Aufsicht der Zentralen Gegenparteien, die dieses Clearing vornehmen und Berichtspflicht für Derivatehändler über ihre Geschäfte.

Clearing über zentrale Gegenparteien

Mit dem Clearing über zentrale Gegenparteien ist gemeint, dass Käufer und Verkäufer von OTC-Derivaten nicht mehr direkt miteinander ins Geschäft kommen, sondern über eine so genannte zentrale Gegenpartei. Die beiden Geschäftspartner verabreden ihre Bedingungen, aber die Abwicklung läuft über die zentrale Gegenpartei. Damit liegen an zentraler Stelle abrufbar Informationen über offene Derivateposten, Handelsvolumen, Risiken auf Käufer- und Verkäuferseite und sobald sich dort etwas Beunruhigendes entwickelt, können die Aufsichtsbehörden schneller eingreifen – sie sind nicht mehr ahnungslos, weil die Zentrale Gegenpartei an die Behörden berichtet.

Außerdem deckt die zentrale Gegenpartei teilweise das Ausfallrisiko der Marktteilnehmer ab. Wenn ein Derivatehändler Konkurs anmeldet, springt die Gegenpartei in die Bresche, um einen Dominoeffekt zu verhindern. Und selbstverständlich kostet das alles Geld, das die Derivatehändler aufbringen müssen – ein kleiner Nebeneffekt wird wohl sein, dass das Derivatevolumen ein wenig zurück gehen wird.

Gemeinsam mit einigen NGOs wie zum Beispiel der deutschen WEED[2], der niederländischen NGO Somo[3] und der österreichischen Arbeiterkammer[4] haben wir einige Änderungsanträge erarbeitet. Unser Ziel war, weniger Ausnahmen zuzulassen und eine möglichst umfassende Clearingverpflichtung einzuführen. Das ist in dem Umfang leider nicht gelungen, aber immerhin konnten wir uns im Ausschuss darauf einigen, dass Pensionsfonds, die mit ihrem riesigen Volumen natürlich auch auf den Derivatemärkten einen wichtigen Akteur darstellen, nur für eine Übergangszeit von der Clearingpflicht befreit werden. Damit sollen die Clearingstellen ebenso wie die Pensionsfonds die Gelegenheit erhalten, eine für die besonderen Anforderungen erforderliche Lösung zu finden – schließlich sollen nicht die Rentner die Zeche zahlen.

Zentrale Gegenparteien

Weil mit den zentralen Gegenparteien Unternehmen geschaffen werden, die eine enorme Bedeutung für die Stabilität der Märkte erlangen können – wenn eine große Gegenpartei ihre Geschäfte nicht mehr abwickeln kann, bricht über Nacht möglicherweise ein großer Teil des Marktes zusammen, müssen die Gegenparteien eine Menge Auflagen erfüllen. Sie brauchen zum Beispiel eine starke Eigenkapitaldecke, von den Derivatehändlern erhalten sie zudem für jeden Kauf und Verkauf eine Sicherheitsleistung.

Hier haben wir versucht, mit Änderungsanträgen eine öffentlich-rechtliche Organisations- und Eigentumsstruktur der Zentralen Gegenparteien zu erreichen – dafür gab es im Parlament leider zu wenig Unterstützung, aber immerhin wurde die Zulassung für die zentralen Gegenparteien deutlich eingeengt: Mit der gegenwärtigen Fassung dürfen die Gegenparteien nur noch Dienste anbieten, die unmittelbar mit der Clearingleistung im Zusammenhang stehen. Und im Risikoausschuss der Gegenparteien müssen künftig unabhängige Experten ebenso vertreten sein wie Repräsentanten der Aufsichtsbehörden.

Berichtspflicht – Datenerhebung für Finanztransaktionssteuer

Wichtigste Informationsplattform des neuen Systems sind die Handelsregister: dort laufen die wesentlichen Daten von OTC-Geschäften zusammen: welche Produkte in welchem Umfang von wem gehandelt werden, muss künftig berichtet werden, die Behörden können auf diese Daten zugreifen. Das spielt vor allem für die Anfang dieses Jahres neu geschaffenen europäischen Aufsichtsbehörden eine zentrale Rolle: die ESMA (European Securities and Markets Authority, Europäische Aufsichtsbehörde für die Finanzmärkte) und das ESRB (European Systemic Risk Board, Behörde zur Überwachung systemischer Risiken an den Finanzmärkten) haben neben zwei anderen europäischen Behörden im Januar ihre Arbeit aufgenommen – können bislang aber auf den OTC-Märkten nur im Trüben fischen: Erst mit der OTC-Verordnung werden sie mit Daten versorgt, die für ihre Arbeit erforderlich sind. In besonderen Situationen können die Ämter einzelne Derivate sogar vom Handel aussetzen. Angenehmer Nebeneffekt ist zudem die Möglichkeit, die erhobenen Umsatzdaten auch für die Erhebung einer Finanztransaktionssteuer zu nutzen.

Mit einem unserer Änderungsanträge haben wir außerdem erreicht, dass kumulierte, anonymisierte Daten zum Handel von Derivategruppen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden müssen. Damit haben Wissenschaftler und NGOs erstmals die Möglichkeit, fundierte Marktdaten über die OTC-Märkte zu erhalten und zu untersuchen, was an diesen bislang recht undurchsichtigen Märkten abläuft.

Neben diesen ganz konkreten Inhalten, die sich unmittelbar auf die Regulierung des OTC-Marktes beziehen, konnten wir zusammen mit den Sozialdemokraten im EU-Parlament einen Passus in den Entwurf einbringen, der die Kommission auffordert, bei der anstehenden Überarbeitung weiterer Finanzmarktregulierungen etwas gegen die zunehmende Spekulation auf den Lebensmittelmärkten zu unternehmen. Hier wäre zum Beispiel die Formulierung von Positionslimits möglich, Höchstgrenzen also für Agrarderivate, die ein Händler nicht überschreiten darf. Das ist ein kaum zu unterschätzender Erfolg, weil hier zum erstenmal auf EU-Ebene eine deutliche Aufforderung vorliegt, diesen wichtigen Markt nicht sich selbst zu überlassen. Auch die EU-Kommission unterstützt übrigens das Vorhaben, die Lebensmittel- und Rohstoffmärkte stärker zu regulieren, beunruhigt durch die starken Preisschwankungen in den vergangenen Jahren, die nicht ausreichend durch Angebot und Nachfrage zu erklären sind. Der zuständige EU-Kommissar, Michel Barnier, hat sich bei einer Stellungnahme im Europäischen Parlament am 24. Mai bereits für die Einführung von Positionslimits auf den Märkten für Agrarderivate ausgesprochen.

Vorletztes Wort

Mit der Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments fordern die Abgeordneten in Straßburg die Regierungen der Mitgliedsländer auf, dem Vorschlag möglichst zügig zuzustimmen – der gängige Weg wäre die Abstimmung mit den Mitgliedsländern, erst dann würde die Abstimmung im Europäischen Parlament erfolgen. Die Zustimmung der Mitgliedsländer im Ministerrat ist erforderlich, damit die Verordnung Rechtskraft erhält.

Der Text, wie er im Parlament zur Abstimmung vorlag.[5]


Position des Ministerrates[6] (pdf, englisch)

Ursprünglicher Vorschlag der Kommission[7]

Links:

  1. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2010-0206+0+DOC+XML+V0//DE
  2. http://www.weed.org/
  3. http://www.somo.nl/
  4. http://www.akeuropa.eu/
  5. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A7-2011-0223+0+DOC+XML+V0//DE
  6. http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/11/st11/st11796.en11.pdf
  7. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2010-0206+0+DOC+XML+V0//DE