Was tun - in der Krise?

von Jürgen KLUTE, erschienen im Sondersupplement SOZIALISMUS 2010/01

30.01.2010

Alternative Ansätze für einen Ausweg aus dem Chaoskapitalismus

»Frühere Erfahrungen zeigen, dass Krisen – indem sie die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Strukturreformen vor Augen führen – eine Chance darstellen, die Regierungen nutzen können, um bei Strukturreformen entscheidende Durchbrüche zu erzielen. (...) Um die nötigen Reformen zu unterstützen und die Haushaltskonsolidierung – die sich unweigerlich über mehrere Jahre erstrecken wird – glaubhafter zu machen, werden die Mitgliedstaaten mög- licherweise auch ihre eigenen stabilitätsfördernden institutionellen Regelungen ausbauen müssen. Im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts sollte die langfristige Tragfähig- keit der öffentlichen Schulden in den Überwachungsverfahren eine deutlich hervorgehobene und explizite Rolle einnehmen.«
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: »Langfristig tragfähige öffentliche Finanzen für eine sich erholende Volkswirtschaft« vom 14.10.2009 (KOM [2009] 545, S. 12)
Die Mitgliedsstaaten sollen die Krise nutzen, um – wie bisher – neoliberale Strukturreformen durchzusetzen. Die Kommission wird sie dabei unterstützen, mit Argumenten und, wenn nötig, mit Defizitverfahren und den entsprechenden im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Sanktionen. Dabei finden innerhalb der EU-Institutionen keine erkennbaren, auch nur halbwegs ernsthaften Krisenanalysen statt. Nur so ist zu erklären, dass den Regierungen die immergleichen Medikamente verordnet werden sollen – lediglich in höherer Dosis.

Auch bezogen auf die völlig aufgeblähten und außer Kontrolle geratenen Finanzmärkte ist von Korrekturen oder gar einer Abkehr vom brüchigen Modell des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus keine Rede. Gegenwärtig steht eine Reihe von Richtlinien zur Reform der europäischen Finanzmärkte mitten im Gesetzgebungsprozess. Richtungsweisende Initiativen sind dabei aus Brüssel nicht zu erwarten. Der derzeitige Konsens in der EU schießt sich auf Probleme in Aufsicht und Transparenz an den Märkten ein. Die Finanzmärkte selbst und ihr Stellenwert werden nicht als Problem begriffen.

Anhand der von der Kommission vorgelegten Vorschläge für Reformen an den europäischen Finanzmärkten werden im Folgenden in einem ersten Schritt konkrete Defizite benannt, die auf dem Weg zu einer wenigstens kurzfristig funktionierenden Minimalregulierung beseitigt werden müssen. In einem zweiten Schritt wenden wir uns alternativen Lösungsvorschlägen zu, die dem Anspruch gerecht werden sollen, der Tiefe der aktuellen Krise Rechnung tragen.

Strikte Regulierung der Finanzmärkte?

Von den größten Vertretungen der Beschäftigten in Europa wurden sowohl die bisherigen Vorschläge der Kommission zur Einrichtung einer europäischen Architektur der Finanzmarktaufsicht wie auch die so genannte Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM), die im Sommer 2010 verabschiedet werden soll, geprüft.

Mit Blick auf die AIFM hat der Arbeitskreis Europa der Arbeiterkammer Österreichs (AK Europa) weit über die Vorlage der EU-Kommission hinausgehende Änderungsvorschläge gemacht. In der bisher vorgesehenen Registrierung von Hedge Fonds sieht der AK Europa lediglich eine Formalität. Dementsprechend fordert er in Verbindung mit der Registrierung verbindliche Auskünfte über Kapitalquoten, Portfolios, Anlagestrategien und Gebühren. Zur Verbesserung der Transparenz sei zudem eine Wertfeststellung der Fonds sowie eine Depotführung durch unabhängige Dritte erforderlich. Die bisher vorgesehene Unterscheidung zwischen registrierungspflichtigen systemrelevanten Fonds und nicht systemrelevanten, die von der Registrierung ausgenommen sind, lehnt der AK als willkürlich ab. Außerdem sieht er die Gefahr, dass durch Aufsplittung von Fonds die Registrierungspflicht leicht unterlaufen werden kann.

Angesichts der Tatsache, dass Hedgefonds zunehmend die Funktionen herkömmlicher Kreditinstitutionen übernehmen, fordert die österreichische Arbeiterkammer, auf Fonds gleichartige Regulierungsvorschriften anzuwenden. Um die so genannten Hebelwirkungen von Fonds zumindest einzudämmen soll eine Beschränkung der Übertragung von Fremdkapital auf die Zielunternehmen vorgeschrieben werden – vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen. Analoges gilt für die Übertragung von Schulden. Da die Folgen der Fonds-Aktivitäten unmittelbar die Belegschaften der Ziel-Betriebe betreffen, fordert der AK prinzipiell auch entsprechende Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Da die von der EU-Kommission vorgeschlagene Richtlinie bisher keine Regelungen zur Besteuerung enthält, fordert der AK auch hier eine klare Nachbesserung. Im Interesse einer langfristigen Stabilisierung der Finanzmärkte sei ein Verbot des Verkaufs von AIFM-Produkten an Konsumenten erforderlich oder zumindest die Festlegung einer Mindestgröße von Fondsanteilen, die Kleinanleger ausschließt. Institutionelle Anleger – also vor allem (Renten)Versicherungen – sollten nur mehr in solche Fonds investieren dürfen, die mit der gegenständlichen Richtlinie in Einklang stehen. Auch die Prüfungsfristen der Aufsichtsbehörden zur Zulassung von alternativen Investmentfonds will die AK verlängert wissen. Am Gesetzgebungsverfahren wird bemängelt, dass die konkrete Ausgestaltung des zu beschließenden gesetzlichen Rahmens alleine der EU-Kommission überlassen wird (Lamfalussy-Verfahren), so dass eine umfassende parlamentarische Kontrolle der Finanzmarktregulierungen nicht stattfindet. DGB und EGB haben sich den skizzierten Änderungsforderungen im Wesentlichen angeschlossen.

Zur Neuregelung der Finanzaufsicht im Rahmen der EU hat sich der AK Europa ebenfalls mit eigenen Vorschlägen zu Wort gemeldet. Die geplante Finanzaufsicht umfasst zwei Institutionen: den Europäischen Rat für Systemrisiken (ESCR) als makro-prudentielle und das Europäische System für Finanzmarktaufsicht (ESFS) mikro-prudentielle Aufsicht. Die Kritik des AK Europa am ESCR richtet sich vor allem gegen seine Reduktion auf das Sammeln von Informationen und den Verzicht, ihn mit Handlungs- kompetenzen auszustatten.

Der AK Europa fordert daher, den ESCR unter die Führung des Europäischen Parlaments zu stellen, unter Einbeziehung der Sozialpartner, des Präsidenten der EZB und von VertreterInnen der nationalen Aufsichtsbe- hörden. Weiterhin soll die Überwachung der Finanzmärkte in einen umfassenden makroökonomischen Dialog eingebunden werden. Anders als die Richtlinie es vorsieht, votiert der AK Europa für eine uneingeschränkte Veröffentlichungs- und Rechenschaftspflicht des ESCR gegenüber der Öffentlichkeit. Der AK begründet diese Forderung damit, dass die Öffentlichkeit letztlich auch die Konsequenzen der Arbeit des ESCR tragen muss. Umgekehrt will der AK Europa die EZB, die EU-Kommission und die nationalen Aufsichtsbehörden der Mitgliedsländer verpflichtet wissen, dem ESCR alle relevanten Analysen und Expertisen zur Verfügung zu stellen, über die diese Institutionen verfügen.

Bezüglich des ESFS setzt der AK Europa auf eine konsequente Harmonisierung bei der Umsetzung der entsprechenden Richtlinien, damit es nicht zu divergierenden Auslegungen und Praktiken in den Mitgliedslän- dern kommt. Er betont, dass eine Harmonisierung sich nicht auf Mindest- standards beschränken darf. Eine Nichtbefolgung dieser Richtlinien soll aus Sicht des AK konsequent sanktioniert werden. Auch dieses Gremium will der AK einer demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterworfen wissen. Um die Autonomie des ESFS sicherzustellen, empfiehlt der AK zudem, Maßnahmen zu treffen, die seine Unabhängig- keit von Finanzmarktakteuren gewährleisten.

Ausdrücklich bekräftigt der AK die Position der EU-Kommission, die ESFS für die Überwachung europaweit tätiger Institutionen mit dem Recht auf Nachforschungen, Inspektionen vor Ort und Aufsichtsentscheidungen auszustatten. Diese Funktionen sollen nach den Forderungen des AK al- lerdings grundsätzlich in Zusammenarbeit mit nationalen Behörden erfol- gen, um die Rechtsstaatlichkeit entsprechender Maßnahmen zu gewährleisten. Um eine effiziente und schnelle Arbeit der ESFS zu ermöglichen, schlägt der AK vor, deren Arbeit mit der Arbeit von Verbraucherschutzverbänden zu vernetzen. Der AK begründet diesen Vorschlag damit, dass die Verbraucherschützer aufgrund ihres Verbandsklagerechts oft schneller Kenntnis über problematische Finanzprodukte erlangen als das ESFS.

Schließlich fordert der AK eine Finanzierung des ESFS aus Mitteln der Finanzmärkte, die durch Steuern, wie zum Beispiel einer Finanztransaktionssteuer, generiert werden sollten. Dieser Vorschlag trifft sich mit durchaus mit der Forderung von NGOs, wie z.B. Attac, aber auch verschiedener Parteien (DIE LINKE, Grüne, teils auch die SPD) und vor allem auch vieler Bürgerinnen und Bürger, nach einer spezifischen Besteuerung der Finanzmärkte (Finanzmarkttransaktionssteuer).

Eine wichtige Ergänzung der bisher angeführten Vorschläge ist die Forderung der LINKEN im Europäischen Parlament, die umlagefinanzierten öffentlich-rechtlichen Rentensysteme zu stabilisieren und die privaten, kapitalbasierten Rentenversicherungen rückzubauen. Da die AIFM, insbesondere die Private-Equity-Fonds, von institutionellen Anlegern – und das sind vor allem private, kapitalbasierte Rentenversicherungen – gespeist werden, dürfte die von den linken Europaabgeordneten vorgeschlagene Strategie zur Altersvorsorge zu einer deutlichen Verringerung des heutigen Finanzmarktvolumens und vor allem zu einer Trockenlegung der AFIM beitragen.

Die Delegation DIE LINKE im Europäischen Parlament tritt darüber hinaus für noch weitergehende Forderungen ein: Sie verlangt ein Verbot alternativer Fonds auf EU-Ebene.
Die Verfechter der alternativen Fonds verweisen immer wieder darauf, dass die AIF die Wirtschaft mit Investitionskapital versorgen, ohne dass die Wirtschaft nicht laufen würde. Das ist jedoch eine Schutzbehauptung, denn es lassen sich auch andere Finanzsysteme denken, die die Wirtschaft ausreichend mit Investitionskapital versorgen.

Unter Linken wird deshalb auch darüber diskutiert, den Bankensektor wieder strikt von dem Geschäftssektor der so genannten Nicht-Bank-Finanzintermediäre, also den Fonds, zu trennen (eine Forderung, die letztlich auch aus dem Bereich der Volksbanken erhoben wurde). Damit wäre vor allem erreichbar, dass die Hebelwirkungen durch Kreditaufnahme seitens der Fonds bei den Banken unterbunden würden. Zugleich wäre durch eine strenge Regulierung der privaten Rentenversicherungen durchzusetzen, dass diese nicht oder nur in sehr geringem Umfang in die hoch risikobehafteten alternativen Fonds investieren dürften.

Im Ergebnis führen diese Forderungen zu einem alternativen Finanzsystem, dass im Wesentlichen bestimmt ist durch öffentliche Sparkassen, öffentliche Landesbanken und Genossenschaftsbanken, die sich nicht auf spekulative Finanzgeschäfte konzentrieren, sondern auf die Versorgung der Realwirtschaft – vor allem auch kleiner und mittlerer Unternehmen – mit den nötigen Krediten und dem nötigen Investitionskapital.

Makroökonomische Politik für den ökologischen und sozialen Umbau

Über die Regulierung der Finanzmärkte hinausreichende, langfristigere Alternativen schlägt das im Rahmen der Studie »Wege aus der Wachstumskrise« erstellte Gutachten »Eckpunkte einer Nachhaltigen Antwort auf die Wachstumskrise« vom August 2009 vor. Es wurde von Carlo C. Jaeger, Gustav Horn und Thomas Lux im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erarbeitet.

Als gesellschaftspolitischen Anknüpfungspunkt für Alternativvorschläge dient im Gutachten die Notwendigkeit eines ökologischen Umbaus der Produktions- und Lebensweise. Den ökonomischen Kern dieser Alternativstrategie bildet die Verknüpfung dreier Ziele, nämlich die unternehmerischen Investitionen auszuweiten, die Binnennachfrage zu stärken und die Potenzialentwicklung der deutschen Wirtschaft zu beschleunigen.

Dabei sind drei Herausforderungen zu bewältigen, nämlich erstens einen Einbruch der effektiven Nachfrage zu vermeiden; zweitens ein zuverlässiges Kreditsystem zur Versorgung der Wirtschaft mit Geld als Voraussetzung zur Überwindung der Krise zu schaffen und drittens die kurzfristigen Maßnahmen zur Krisenbewältigung auf eine langfristig tragfähige Entwicklung auszurichten. Als flankierende Maßnahmen schlagen Jaeger/Horn/Lux zunächst eine Steigerung der Staatsausgaben vor. Ergänzend soll eine Steigerung der Nachfrage bei den wichtigsten Handelspartnern der BRD erreicht werden. Und schließlich sind Maßnahmen zur Überwindung der Kreditklemme zu ergreifen.

Angesichts der hohen Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft, die sich vor allem auf Investitionsgüter bezieht, setzt das Gutachten auf eine Steigerung der Investitionen im Inland. Als relevante Investitionssektoren nennen die Autoren die Bereiche Energienutzung, Infrastruktur, Bildung und Gesundheit. Als ökologisches Ziel wird der Umbau der Energiewirtschaft zu einer CO2-freien Energieerzeugung genannt, der energetische Umbau der Gebäude (Energie-Effizienz) sowie ein ökologisch verantwortlicher Umbau der technischen Infrastruktur (Stromnetze, Fernwärme, Schienennetze etc.).

Im Gutachten wird einen Stufenplan für den Zeitraum 2009 bis 2013 vorgeschlagen. Einerseits enthält dieser Plan konkrete Vorschläge für ein staatliches Konjunkturprogramm – einschließlich der Forderung nach ei- ner wirksamen EU-weiten Koordinierung staatlicher Maßnahmen. Andererseits fordert es eine konsequente Regulierung aller Finanzmarktpro- dukte (Finanz-TÜV) sowie eine rigorose Konsolidierung des Finanzsektors, die die Schließung, Zusammenlegung und bei Bedarf auch die Verstaatlichung privater Banken umfasst.

Zur Finanzierung des Konzepts schlägt das Gutachten eine auf zehn Jahre angelegte staatliche Verschuldungspolitik vor. Zur Gegenfinanzierung dieser Dekade eines gezielten Defizit Spendings votieren die Gutachter für einen Mix aus steuerpolitischen Maßnahmen, wie der Einführung einer Börsenumsatzsteuer und einer Brennelementesteuer für Kernbrennstäbe, die Anhebung bestehender Steuern sowie die aufkommensneutrale Umlagerung von Steueranreizen. Zu letzterem gehört u.a. eine Erhöhung der Besteuerung großer Vermögen bei gleichzeitiger Steuerentlastung investierter Vermögen.

Die Gutachter gehen bei ihrem Konzept von einem zusätzlichen Investitionsschub von je 50 Mrd. Euro in 2010 und 2011 aus mit der Wirkung, dass in 2010 rund eine Million Arbeitsplätze gesichert und in 2011 zusätzlich ca. eine Million Arbeitsplätze neu geschaffen werden. Damit greifen die Autoren Kernforderungen der Gewerkschaften nach Investitionsprogrammen auf, versehen diese Forderungen allerdings – im Unterschied zur vielfach kritisierten, von den Gewerkschaften gestützten Abwrackprämie – mit einer klaren ökologischen Zielvorgabe, die den klimapolitischen Notwendigkeiten Rechnung trägt. Darin liegt die Attraktivität dieser Alternativstrategie.

Ähnlich argumentiert der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) für eine koordinierte, systemische Antwort der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten auf die Krise. Bevor die Arbeitslosigkeit in Europa nicht entscheidend eingedämmt ist, dürfen die staatlichen Stützungs- maßnahmen nicht zurückgenommen werden. Damit bereits in den Jah- ren 2010 oder 2011 zu beginnen, würde die zarten Pflänzchen einer wirtschaftlichen Stabilisierung in der Europäischen Union gleich zertrampeln und die Krise verlängern.

Der EGB fordert, dass die Mitgliedstaaten die bisher bloß temporären Stützungsmaßnahmen verstetigen und massiv in den ökologischen und sozialen Umbau investieren. Die EU solle die nationalstaatlichen Programme koordinieren und sie mit einem EU-Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) von mindestens 1% des EU-27-BIP verbinden. Das Geld für das EU-ZIP soll durch die Europäische Investitionsbank (Euro-Anleihen), die EBRD und den EU-Haushalt aufgebracht werden. Die EZB soll diese Euro-Anlei- hen aufkaufen und so die Zinsen und den Schuldendienst dauerhaft niedrig halten. Die EU müsse endlich Schritte einleiten, um den verheerenden Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zu stoppen und sie ver- anlassen, Steuern auf Unternehmensgewinne, Vermögen, Erbschaften und hohe Einkommen zu erhöhen.

Der EGB warnt vor Sozialabbau und weiterer Deregulierung der Arbeitsmärkte. Stattdessen gelte es »Gute Arbeit« zu fördern, das Sinken der Lohnquote zu stoppen und umzukehren. Aus der »Großen Depression« der 1930er Jahre müsse die Politik lernen, dass faire Löhne die Nachfrage stärken und so dazu beitragen, die Krise zu überwinden. Der damals eingeleitete Lohnsenkungswettlauf habe hingegen die Krise verlängert und vertieft. Damit bietet das EGB-Konzept zumindest einen vernünftigen Rahmen für eine europäische Anti-Krisenpolitik, an dem andere anknüpfen können.

Die bisher weitreichendste Krisenanalyse hat der us-amerikanische Ökonom Robert P. Brenner in einem Interview mit dem koreanischen Ökonomen Seongjin Jeong entwickelt. Brenner sieht die Ursache der Krise in einer sich bereits seit Jahrzehnten entwickelnden Überproduktion. Um in einem Kontext übersättigter Märkte die produzierten Güter absetzen zu können, habe die Wirtschaft auf Kostensenkung zum einen durch Rationalisierung und zum anderen durch Lohnsenkungen gesetzt. Die Rationalisierungen haben nach Brenner die Überproduktion weiter beschleunigt, die Lohnsenkungen hingegen die Massenkaufkraft abgesenkt. Im Ergebnis habe die Realwirtschaft immer weniger Profite abgeworfen. Die Antwort auf die Überproduktion sei die Entwicklung des Finanzmarkt- kapitalismus, dessen signifikante Merkmale eine hochgradige Deregulierung, Wettbewerb und hohe Risiken sind.

Legt man Brenners Analyse zugrunde, dann dürften die zuvor skizzierten Alternativstrategien jedoch nur erste pragmatische Schritte zur Bewältigung der aktuellen Krise sein. Denn auf die von Brenner beschrie- bene Problemlage geben sie keine ausreichenden Antworten. Vielmehr ist im Interesse einer nachhaltigen Krisenbewältigung anzuknüpfen an die bereits Anfang der 1980er Jahre geführte Debatte um eine grundlegende Neuorganisation der Erwerbsarbeit, die auf eine deutliche Arbeits- zeitverkürzung und auf eine Neuorganisation der Einkommensverteilung abzielt. Bis Ende der 1980er Jahre haben die Gewerkschaften mit den erstrittenen Arbeitszeitverkürzungen im Sinne dieser Debatte auch erste Erfolge erzielt, die allerdings zwischenzeitlich weitgehend wieder neutralisiert wurden.
Die Linksfraktion (GUE/NGL) ist die einzige Kraft im Europäischen Parlament, die konsequent für eine solche Politik der Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsumverteilung eintritt.

Literatur

Bundesarbeitskammer Österreich (2009): AK Europa. AK Positionspapier »Euro-päische Finanzaufsicht«, August.

Bundesarbeitskammer Österreich. AK Europa (2009): AK Positionspapier »Richtlinienvorschlag über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2004/39/EG und 2009/.../EG (Hedgefonds und Private Equity).«, August.

Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB) (2009): The European exit strategy: fis- cal stimulus can only be withdrawn when unemployment is down long enough!; Statement by the ETUC`s Executive Committee, 20/10/2009; http:// www.etuc.org/a/6588

Jaeger, Carlo C./Horn, Gustav/Lux Thomas (2009): Eckpunkte einer nachhaltigen Antwort auf die Wachstumskrise. Gutachten im Rahmen der Studie »Wege aus der Wachstumskrise« im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin, 4. August.

Jeong, Seongjin (2009): Robert P. Brenner on the Crisis. Interview by Seongjin Jeong in The Hankyoreh (South Korea), 1/29 (deutsch: »Die derzeitige Krise wird der Großen Depression gleichkommen«

Robert P. Brenner im Interview mit Seongjin Jeong, in: Sozialismus 3/2009).
Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2009): Mitteilung der Kommis- sion an das Europäische Parlament und den Rat. Langfristige tragfähige öffentliche Finanzen für eine sich erholende Volkswirtschaft, Brüssel, 14.10. KOM(2009) 545 endgültig.