Nach einem halben Jahr Europa

von Kai WIEDERMANN, erschienen in der WAZ /Herne

07.01.2010

Herne. Jürgen Klute ist seit Juli Mitglied für Die Linke im EU-Parlament. Dort geht es derzeit vor allem um die Wirtschaftskrise

Er hat Tage gebraucht, um sich in den Riesengebäuden in Straßburg und Brüssel den Überblick zu verschaffen. Mittlerweile findet sich der Herner Jürgen Klute an seinen neuen Wirkungsstätten bestens zurecht. Seit dem 14. Juli ist der 56-Jährige offiziell Mitglied des Europäischen Parlaments. Aus dem ehemaligen Sozialpfarrer ist ein Profipolitiker der Linkspartei geworden. „Es macht wirklich Spaß, ich finde es sehr interessant."

Nur einen Steinwurf vom Parlamentsgebäude in Brüssel entfernt hat Klute – 1953 in Bünde geboren – eine Wohnung gefunden. Wenn er in Straßburg arbeitet, lebt er im Hotel. Klute ist einer von 99 deutschen EU-Abgeordneten, Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss und stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss.

Die derzeit wichtigsten Themen in EU-Kommission und -Parlament, sagt Klute, seien die Folgen der Weltwirtschaftskrise und die Zukunft Europas nach Unterzeichnung des Lissaboner Vertrages. Obwohl die Abgeordneten ausführlich über die Krise und deren Auslöser debattierten – für den linken Jürgen Klute gehen die Überlegungen nicht genug in die Tiefe. Während Europa bereits die Ausstiegsszenarien aus staatlichen Förderprogrammen plane und davon ausgehe, dass die Krise zum Stehen gekommen sei, glaubt Klute an heftige Nachwehen. „Dass die Krise sehr bald auf den Arbeitsmarkt durchschlagen wird, das wird wenig belichtet." Die Kommission versteife sich zu sehr auf die bevorstehenden Sparprogramme, auf die Erhöhung von Rentenalter, Einschnitte bei Gesundheit und Pflege. Klute und Die Linke dagegen glauben, dass die europäischen Staaten Schulden in Kauf nehmen müssten, um mit einer Zehn-Jahres-Strategie die Wirtschaft nachhaltig umzustellen, in Bildung oder moderne Energien zu investieren. Statt Steuern zu senken, würde Die Linke lieber Steuern partiell erhöhen, um neue Staatsprogramme ins Leben zu rufen.

Auch die Regulierung der Finanzmärkte, so Klute, sei ein schwieriges Thema in der EU. Es gebe viele Interessenten für ein Weiterso. Private Equity oder Hedge Fonds zu verbieten oder deren Handeln nachhaltig einzuschränken, dies sei wohl nicht mehrheitsfähig. Derzeit wird an einer Richtlinie zur Zukunft der Finanzmärkte gearbeitet, „es ist nicht einfach, die Regulierung straffer zu ziehen".

Seine Kritik am Lissabon-Vertrag hat Jürgen Klute auch nach dessen Verabschiedung nicht abgelegt. Es gebe viele offene Fragen: Wer etwa bezahle den neuen Europäischen Auswärtigen Dienst, immerhin 5000 bis 7000 neue Beamten. Und was folge daraus, dass das EU-Parlament diesen nicht kontrollieren könne. „Über all das wird in Brüssel und Straßburg derzeit viel gesprochen."

Apropros Sprechen: Klute hat seit Juli eine Menge über Redezeiten und abgezählte Fragen gelernt. Die Regeln in Ausschüssen und Parlament sind streng. „Das Labern wird einem ausgetrieben."

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