Lobbying

EIN FRONTBERICHT von Karsten PETERS

23.09.2010

Wenn kritische Menschen das Schreckwort „Lobby" hören, sehen sie gut gekleidete, dezente Damen und Herren vor sich, die politische Entscheidungsträger umgarnen, mit Bürgermeistern auf einsame Inseln im Ionischen Meer reisen, sich mit Bundestagsabgeordneten beim Luxusitaliener im Wedding treffen oder einem Mitglied des Europäischen Parlaments dezent einen schicken neuen Laptop über den Tisch schieben. Möglich, dass es so etwas gibt, ausschließen will ich es auf keinen Fall. Aber der Normalfall ist sehr viel weniger spektakulär: Das Telefon klingelt, auf der anderen Seite ist ein Vertreter der Volksbank, der Investmentbank Goldman Sachs, der deutschen Automobilindustrie.

Sachverstand, leider einseitig

Er würde sich, sagt er, ganz gern mal mit dem Herrn Abgeordneten unterhalten, es stehe doch in den nächsten Wochen diese oder jene Verhandlung im Parlament an. Grundsätzlich ist gegen solche Gespräche natürlich nichts einzuwenden, denn schließlich ist die Aufgabe eines Abgeordneten auch die Suche nach inhaltlichem Ausgleich. Und er muss sich in kürzester Zeit in die verschiedensten Themen einarbeiten, in Themen, mit denen sich die viel gescholtenen Lobbyisten im Idealfall hervorragend auskennen. Was liegt da näher, als eben diese Lobbyisten zu fragen, wie denn das eine mit dem anderen zusammen hängt, welche Faktoren eine Rolle spielen beim Verkauf deutscher Autos im Norden Finnlands. Und bei solchen Gesprächen ist den Beteiligten klar, dass sie jeweils ihr eigenes Interesse haben: Der Lobbyist will seinem Auftraggeber einen Dienst erweisen, der Abgeordnete will Wissen, braucht Wissen, um sich eine Meinung bilden zu können über die anstehende Gesetzvorlage. Und normalerweise hören sich die Abgeordneten auch noch einige andere Meinungen an – von Gewerkschaften, Sozialverbänden, Verbraucherorganisationen. Schwierig wird es erst dann, wenn der Druck zu hoch wird, wenn die Lobby so massiv auftritt, dass sich der Abgeordnete ihres Zugriffs kaum noch erwehren kann und wenn es nahezu unmöglich ist, eine zweite Meinung zu hören. Einem Frontalangriff der Finanzmarktlobby war ich, seit Mitte April Jürgens Mitarbeiter in seinem Hertener Büro, Anfang September ausgesetzt.


Schulung für Assistenten

Training on Derivatives for MEP's assistants – also eine Schulung zu Derivaten an Finanzmärkten für die Assistenten von Mitgliedern des Europäischen Parlaments. So war Mitte Juli 2010 eine Einladung überschrieben für eine Veranstaltung, die am 2. September in Brüssel stattfand. Veranstalter war das Forum Finanzdienstleistungen am Europäischen Parlament, im Original „European Parliamentary Financial Services Forum" (EPFSF). Der Grund für die Einladung – so zumindest mein naiver Eindruck im Vorfeld: Bereits im Frühjahr wurden im Europäischen Parlament Derivate verhandelt und für den Herbst ist eine Direktive von der Europäischen Kommission zu erwarten, die den Handel mit diesen Finanzmarktprodukten hoffentlich einer gewissen Aufsicht unterstellt. Und weil Abgeordnete im EP ebenso wie ihre MitarbeiterInnen in den seltensten Fällen Finanzmarktbroker sind, die im Detail verstehen, wie diese Märkte und wie die zum Teil hoch komplexen Derivate funktionieren, sind sie – und ich mit ihnen – ganz versessen auf jede Information, die einen gewissen Einblick vermittelt. Kurzum: Die Einladung war hoch willkommen.

Mein Interesse an der Veranstaltung stieg noch, als mich ein Fragebogen der Veranstalter erreichte, in dem abgefragt wurde, was die TeilnehmerInnen denn nun gerne wissen würden. Nach einigem Überlegen schrieb ich also meine brennendsten Fragen in eine Mail, schickte sie ab und wartete auf die Antworten, die da kommen würden.

Referenten aus der Hochfinanz

Die Einladung, die offenbar recht professionelle Vorbereitung und der Fragebogen vermittelten mir den deutlichen Eindruck, dass hier tatsächlich eine Gruppe über Derivate informieren wollte, ohne ideologische Brille und ohne finanzielles Eigeninteresse. Ein bisschen stutzig wurde ich indes, als ich ein paar Tage vor der Veranstaltung am 2. September die Liste der Referenten zugeschickt bekam:

Anthony Belchambers, Chef der „Futures and Options Association", Roger Cogan, Direktor Europäische Politik bei der Internationalen Swap- und Derivate-Gesellschaft, Rony Cunningham, Strategischer Direktor von LCH Clearnet, einer Clearingstelle für Derivatehandel, Roland Kern, bei der Lufthansa zuständig für den Derivatehandel, Alan Fitzgerald, Manager für Kundenbeziehungen bei der in London ansässigen Amalgamated Metal Trading, einer Warenbörse für Metalle. Stutzig, weil in der Liste nicht ein Name auftauchte, der sich nicht als Händler oder Börsenbetreiber mit Derivaten befasst.

Ich muss gestehen, ich war voreingenommen, sehr voreingenommen. Nachdem ich in meiner Naivität der Einladung geglaubt hatte, es würde Information vermittelt, nicht Indoktrination, habe ich angesichts der Referentenliste mit dieser Ansicht radikal aufgeräumt. Um es klar zu sagen: Ich war stinksauer, dass die Damen und Herren Organisatoren ein Seminar ankündigen, um ideologisch einseitige Positionen zu verkaufen.

Vielleicht, ich will diese Möglichkeit nicht ausschließen, hat mir diese Voreingenommenheit den Blick für die wahre Erkenntnis verstellt, schließlich saßen auf dem Podium, in einem der kleineren Tagungsräume des Europäischen Parlaments in Brüssel, acht (ZAHL) Spezialisten, Männer in gut sitzenden Anzügen mit einem Jahreseinkommen, das höher ausfallen dürfte als das tarifliche Lebenseinkommen eines durchschnittlichen Facharbeiters. Die Jungs kennen sich doch aus? Die müssen doch recht haben, wenn Kern ihrer Vorträge ist

1. Derivate sind gut

2. Derivate gibt's schon lange (ist wahrscheinlich eine Variation von Punkt 1)

3. Derivate werden gebraucht, wenn Lufthansa (und andere) sich vor Preisschwankungen bei Rohstoffen schützen wollen

4. Spekulation ist gut, denn sie versorgt die Märkte mit Liquidität, also mit Geld

5. Der Handel mit Derivaten und die Spekulation mit ungedeckten Leerverkäufen hat keinen Einfluss auf die Preisentwicklung der den Derivaten zugrunde liegenden Produkte. Konkret heißt das: Wenn ich heute für 500 Dollar Weizenoptionen kaufe, die mir sichern, dass ich im Dezember 20 Tonnen Weizen für 1400 Euro kaufen kann, hat das keinen Einfluss auf den Preis von Weizen.

Mein Interesse an der Veranstaltung war nur leider ein völlig anderes. Ich wollte wissen, wie Derivate tatsächlich funktionieren, vielleicht auch noch ein bisschen darüber, was für Derivate es gibt. Vor allem aber: Wie lässt sich herausfinden, welche Derivate wo gehandelt werden. Im Moment ist es so, dass ein Großteil des Derivatehandels außerhalb geregelter Märkte stattfindet – niemand außer den jeweiligen Geschäftspartnern weiß wirklich, was dort wie und in welchem Umfang gehandelt wird. Die Wahrheit tritt erst beim nächsten Crash zutage. Und selbstverständlich wollte ich all das wissen, um eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie Derivatemärkte sich auf europäischer Ebene regulieren lassen. Seltsam nur, dass das EPFSF diese meine Fragen stumpf ignorierte.

Ich selbst war, nachdem ich dem versammelten Sachverstand der europäischen Hochfinanz eineinhalb Stunden zuhören musste, nicht mehr ruhig genug, meine einmal im Fragebogen gestellten Fragen erneut zu stellen, und, ja, ich muss gestehen: ich war schon lange nicht mehr nur stinksauer, ich kochte vor Wut – und konnte nicht mehr an mich halten. Die abschließende Fragerunde nach Neunzigminutenmonologen über die Segnungen des Derivatehandels war knapp bemessen, also beeilte ich mich, meine Bedenken angesichts der Veranstaltung zu Gehör zu bringen: Wo finde sich hier Information? Wo sei die zweite Meinung? Und wie, verdammt, könnt Ihr behaupten, Spekulation sei gut, wenn gerade an den Nahrungsmittelbörsen, getrieben einerseits vom russischen Exportstopp beim Weizen und von der einsetzenden Spekulation an den Warenbörsen andererseits, der Weizenpreis explodiert. Ihr sitzt da auf dem Podium und behauptet Derivate seien ganz toll, während viele andere sie mit verantwortlich machen für die nächste Nahrungsmittelkrise in den Ländern des Südens. Dort sterben Menschen, tausende von Menschen, während hier darüber gefaselt wird, dass doch eigentlich alles ganz okay ist.

Zumindest eines hab ich mit meinem kleinen Wutausbruch hoffentlich erreicht: Bei einigen der 35 anwesenden Assistenten den Gedanken angeregt, dass es durchaus auch eine andere Sichtweise gibt zur Nützlichkeit unregulierter Derivatemärkte gibt. Die Referenten konnte ich leider nicht besonders beeindrucken, aber immerhin versuchten zwei der hochbezahlten Spezialisten mir in einem Sechs-Augen-Gespräch bei Kaffee und Bier (ich habe meine Getränke selbstverständlich selbst bezahlt) noch einmal zu erklären, was ich in den neunzig Minuten zuvor auch nicht verstanden hatte. Seitdem suche ich umso verzweifelter nach einer Gegenmeinung – die Herren argumentierten schlüssig, aber glauben will ich ihnen vorerst nicht.

Schon vor der Sommerpause haben zahlreiche Abgeordnete - darunter auch Jürgen Klute als Erstunterzeichner - einen Hilferuf an die Zivilgesellschaft veröffentlicht: Der Lobbydruck der Finanzindustrie ist einfach zu mächtig. Hier gehts zum Aufruf.

Das European Parliamentary Financial Services Forum wehrt sich gegen die Behauptung, ein Lobbyverein zu sein.

Corporate Europe ist eine niederländische NGO, die offene Lobbyarbeit innerhalb der EU kritisch beobachtet und verdeckte Lobbyarbeit aufzudecken versucht.